1. Forderungen der Staatskasse
Rz. 14
Es müssen Forderungen der Staatskasse aus einem Straf- oder Bußgeldverfahren bestehen. Dabei muss es sich nicht um dasselbe Verfahren handeln, in dem der Verurteilte Erstattungsansprüche erworben hat. Die Ansprüche können auch aus anderen Verfahren herrühren, etwa einer früheren Verurteilung.
Beispiel: Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 1.000 EUR verurteilt. Bevor die Geldstrafe vollstreckt ist, wird er in einem weiteren Verfahren wegen des Verdachts des Betruges auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. Die Staatskasse kann gegen den Kostenerstattungsanspruch des Angeklagten die Aufrechnung erklären.
Rz. 15
Unerheblich ist, ob die Ansprüche der Staatskasse aus der Verurteilung in der Hauptsache, also aus der Geldstrafe resultieren, oder ob es sich um Kostenforderungen handelt. Wenn also in dem zuvor genannten Beispiel die Geldstrafe bereits gezahlt wurde, so dass nur noch die Verfahrenskosten offen sind, kann die Staatskasse mit diesem Anspruch gegen den Erstattungsanspruch des Angeklagten aufrechnen.
2. Abgetretene Forderungen
Rz. 16
Bei den, dem Verteidiger abgetretenen Forderungen muss es sich um Ansprüche auf Erstattung von Anwaltskosten als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO handeln.
Rz. 17
Zwar ist die frühere Klammerdefinition in § 96a BRAGO, die auf §§ 464b, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO hinwies, weggefallen. Eine inhaltliche Änderung ist damit jedoch nicht verbunden. Insbesondere wird man aus dem Wegfall der Verweisung auf § 464b S. 2 und 3 StPO nicht folgern können, dass nur der Anspruch auf Erstattung der Auslagen selbst, aber nicht auch auf die hieraus zwischenzeitlich angefallenen Zinsen geschützt ist. Weder aus der Begründung noch aus sonstigen Umständen ergibt sich jedenfalls, dass der Gesetzgeber hier eine Änderung vornehmen wollte.
Rz. 18
Aus der Eingrenzung, dass es sich um notwendige Auslagen handeln muss, folgt – wie bisher –, dass nur solche abgetretenen Ansprüche in den Schutzbereich des S. 1 fallen, die notwendig i.S.d. § 464a StPO waren.
Rz. 19
Daher sind von vornherein diejenigen Ansprüche des Auftraggebers ausgeschlossen, die nicht unter § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO fallen, sondern unter § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO, wie z.B. ein Anspruch auf Erstattung von eigenen Reisekosten der Partei, Zeitversäumnis, Verdienstausfall oder auch von privaten Gutachterkosten. Soweit auch diese Ansprüche an den Verteidiger abgetreten wurden, kann hiergegen unbeschadet der Vorschrift des § 43 immer aufgerechnet werden, auch nach Abtretung (§ 407 BGB).
Rz. 20
Die Vorschrift des § 43 greift auch dann nicht, wenn die Gerichtskasse gegen eine – angeblich dem Rechtsanwalt abgetretene – Haftentschädigungsforderung aufrechnet.
Rz. 21
Soweit der Verteidiger mit seinem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung getroffen hat, gilt § 43 nur insoweit, als die vereinbarte Vergütung die gesetzliche Vergütung nicht übersteigt. Zu beachten sind insoweit nicht nur die Vergütungstatbestände, sondern auch eine eventuelle Pauschgebühr (§ 42). Gegebenenfalls muss nur zum Zwecke der Feststellung der Tragweite einer Aufrechnung das Verfahren nach § 42 auf Feststellung einer Pauschvergütung durchgeführt werden (siehe § 42 Rdn 13).
Rz. 22
Auf welchem Gebührentatbestand die Erstattungsansprüche (§§ 464b, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO) beruhen, ist dagegen unerheblich. Die Vorschrift spricht von Anwaltskosten, also von Gebühren und Auslagen des Anwalts (siehe § 1). Damit sind alle Gebühren und Auslagen nach dem RVG erfasst. Dazu gehören nicht nur die Auslagen nach den VV 700 ff., sondern auch Auslagen, die nach VV Vorb. 7 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 675, 670 BGB zu ersetzen sind (z.B. vorgelegte Gerichtskosten für eine Aktenversendung, GKG-KostVerz. 9003). Soweit der Anwalt einen Stellvertreter außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 eingeschaltet hat und insoweit eine erstattungsfähige Vergütung nach § 612 BGB angefallen ist (siehe § 5 Rdn 58 ff.), wird man auch diese Ansprüche in den Anwendungsbereich des § 43 aufnehmen müssen.
Rz. 23
Zwischen dem Vergütungsanspruch und dem abgetretenen Anspruch muss Deckungsgleichheit bestehen. Die Erstattungsforderung des Auftraggebers muss also gerade aus denjenigen Forderungen des Anwalts resultieren, die dem Anwalt gegen den Auftraggeber noch zustehen. Andere Ansprüche können nicht mit der Privilegierungswirkung des § 43 besichert werden.
Beispiel: Der Anwalt vertritt den Mandanten in einem Strafverfahren wegen Betruges sowie in einem weiteren Strafverfahren wegen Diebstahls. Aus beiden Verfahren entstehen dem Anwalt Vergütungsansprüche in Höhe von jeweils 1.000 EUR. Zur Absicherung seiner Gebühren und Auslagen in beiden Sachen hatte sich der Anwalt eventuelle Erstattungsansprüche aus den Strafverfahren abtreten lassen. Zudem hatte der Anwalt in dem Verfahren wegen Diebstahls einen Vorschuss von 800 EUR eingezogen. Von dem Vorwurf des Diebstahls wird der Mandant freigesprochen. Wegen Betruges wird er zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 EUR ve...