Rz. 38
Sind die vorgenannten Voraussetzungen (vgl. Rdn 7 bis 37) gegeben, so bleibt eine Aufrechnungserklärung der Staatskasse ohne materiell-rechtliche Wirkung, soweit sie den Anspruch des Rechtsanwalts vereiteln oder beeinträchtigen würde. Dies setzt also zunächst einmal voraus, dass der von § 43 geschützte Vergütungsanspruch des Anwalts (vgl. Rdn 11 ff.) gegen seinen Auftraggeber noch nicht, zumindest nicht vollständig erfüllt ist. Dem Anwalt muss also noch ein Vergütungsanspruch gegen den Auftraggeber zustehen.
Rz. 39
Allein, dass Vergütungsansprüche des Verteidigers noch bestehen, genügt für die Anwendung des § 43 allerdings nicht. Vielmehr muss der Anwalt zur Durchsetzung dieser Ansprüche auf den ihm abgetretenen Erstattungsanspruch angewiesen sein. Er muss also ohne die Verwertung des abgetretenen Anspruchs Schwierigkeiten haben, zu seinem Geld zu kommen. Hohe Anforderungen dürfen jedoch nicht gestellt werden. Es genügt, dass die Position des Anwalts durch die Aufrechnung konkret verschlechtert wird.
Rz. 40
Für eine solche Beeinträchtigung genügt es, dass der Anwalt eine freiwillige Zahlung des Auftraggebers nicht erreichen kann, dass er also auf eine Vollstreckung angewiesen ist. Auf eine Ratenzahlung des Auftraggebers braucht sich der Rechtsanwalt nicht einzulassen. Soweit der Mandant die Forderung also nur in Raten zahlen kann, ist die erklärte Aufrechnung unwirksam, so dass der Anwalt auf die Erstattungsforderung zugreifen kann. Gleiches gilt, wenn der Mandant nicht sofort zahlen kann, sondern erst nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, und er eine Stundung verlangt. Auf die Dauer der Stundung oder der angebotenen Ratenzahlung kann es dabei nicht ankommen. Hierfür spricht insbesondere die Rechtssicherheit. Die Frage der Wirksamkeit der Aufrechnung muss kurzfristig geklärt werden. Bietet der Mandant eine Ratenzahlung an, so steht gerade nicht fest, dass diese auch eingehalten und erfüllt wird. Bereits dies reicht schon als Beeinträchtigung des Anwalts aus.
Rz. 41
An einer Beeinträchtigung fehlt es, soweit der Anwalt Vorschüsse vereinnahmt hat. Zwar ist damit noch keine Erfüllung eingetreten; diese tritt erst mit Abrechnung und Verrechnung ein (siehe § 10 Abs. 2). Dennoch fehlt es an der Beeinträchtigung, weil der Anwalt verrechnen kann und muss.
Rz. 42
Anders nur, wenn der Anwalt geltend macht, den Vorschuss auf eine vereinbarte Vergütung erhalten zu haben. Dann würde sich eine Beeinträchtigung ergeben, soweit nicht nach § 58 Abs. 3 anzurechnen wäre.
Rz. 43
Nach Mümmler soll eine Beeinträchtigung dann nicht vorliegen, wenn eine Rechtsschutzversicherung für die Vergütung eintritt. Diese Aussage ist zwar zutreffend; ein solcher Fall dürfte jedoch nicht eintreten, jedenfalls dann nicht, wenn sich der Rechtsschutzversicherer auf seine Versicherungsbedingungen beruft. Soweit die Staatskasse die Aufrechnung erklärt, kann der Rechtsschutzversicherer nämlich nicht mehr in Anspruch genommen werden.
Beispiel: Der rechtsschutzversicherte Mandant wird unter teilweisem Freispruch zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 EUR verurteilt. Das Verteidigerhonorar beläuft sich auf 2.000 EUR, wovon der Anwalt bereits 1.000 EUR als Vorschuss eingefordert und erhalten hatte. Der aus dem Freispruch resultierende Kostenerstattungsanspruch des Auftraggebers beläuft sich auf 1.000 EUR. Nach Rechtskraft des Urteils erklärt die Staatskasse die Aufrechnung.
Aus seinem Rechtsschutzversicherungsvertrag konnte der Auftraggeber zunächst die Freistellung von der gesamten Verteidigervergütung in Höhe von 2.000 EUR verlangen. Nach Zahlung des Vorschusses also noch in Höhe von weiteren 1.000 EUR. Nach Rechtskraft des Urteils ist dieser Befreiungsanspruch nicht mehr durchsetzbar gewesen und schließlich erloschen. Sobald der Versicherungsnehmer Erstattungsansprüche gegen Dritte erwirkt, hier also in Höhe von 1.000 EUR gegen die Staatskasse, ist der Rechtsschutzversicherer nicht mehr eintrittspflichtig (§ 2 Abs. 3c ARB 1975 = § 5 Abs. 3g ARB 1994/2000). Seine Eintrittspflicht lebt erst dann wieder auf, wenn der rechtsschutzversicherte Mandant nachweist, dass die Beitreibung der Erstattungsforderung auf Schwierigkeiten stößt (§ 2 Abs. 3c ARB 1975 = § 5 Abs. 3g ARB 1994/2000). Gelingt die Beitreibung der Erstattungsforderung jedoch, so kann der Rechtsschutzversicherer nicht mehr in Anspruch genommen werden.
Im Beispiel ist die Erstattungsforderung durch die Staatskasse erfüllt worden, nämlich durch Aufrechnung. Der Auftraggeber hat den Erstattungsanspruch in Form der Befreiung von seiner eigenen Schuld erlangt. Es ist ihm also ein Vermögensvorteil in Höhe von 1.000 EUR zugeflossen. Damit ist er hinsichtlich seiner Erstattungsansprüche befriedigt. Er kann den Rechtsschutzversicherer nicht mehr in Anspruch nehmen. Anderenfalls würde der Rechtsschutzversicherer nämlich als Darlehensgeber für die Geldstrafe in Anspruch genommen und hätte einen entsprechenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruch. Nach alldem kommt also eine ...