Peter Fölsch, Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
Gesetzestext
Hat der beigeordnete oder bestellte Rechtsanwalt durch schuldhaftes Verhalten die Beiordnung oder Bestellung eines anderen Rechtsanwalts veranlasst, kann er Gebühren, die auch für den anderen Rechtsanwalt entstehen, nicht fordern.
A. Allgemeines
I. Anwendungsbereich
Rz. 1
§ 54 erfasst nicht nur die im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwälte, sondern sämtliche Beiordnungen und Bestellungen, die unter das RVG fallen (vgl. § 45 Rdn 8–29). Dies ergibt sich zum einen aus der ausdrücklichen Erwähnung des beigeordneten und des gerichtlich bestellten Anwalts im Gesetzestext und zum anderen aus der Gesetzessystematik, da § 54 in den für beigeordnete oder bestellte Anwälte geltenden Abschnitt 8 des RVG eingestellt worden ist. Die Vorschrift hat allerdings sowohl rechtlich als auch tatsächlich nur geringe Bedeutung. Sie bringt lediglich die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass (auch) ein Anwalt für schuldhaft verursachte Mehrkosten einzustehen hat, normiert dies allerdings nur für das Verhältnis Anwalt – Fiskus. Haftet der Fiskus für die Gebühren des beigeordneten oder bestellten Anwalts ohnehin nicht, greift sie nicht ein. Somit findet sie etwa auf die Beratungshilfegebühr, die nur der Rechtsuchende schuldet (§ 44 S. 2), keine Anwendung.
II. Pflichtverletzung
Rz. 2
Sachlich handelt es sich um einen Einwendungsdurchgriff der Staatskasse entsprechend § 768 Abs. 1 S. 1 BGB (vgl. § 45 Rdn 46 f.). Denn die Rechtsfolge des Anspruchsverlustes geht hier letztlich auf eine Verletzung von Pflichten aus dem Anwaltvertrag zurück. Im Verhältnis Anwalt – Partei ergibt sich der Anspruchsverlust aus dem Dienstvertragsrecht. Bedeutet die Erfüllung eines Gebührentatbestandes durch den Anwalt für die Partei eine Schlechtleistung, folgt daraus nach zivilrechtlichen Grundsätzen, dass dem Anwalt ein Vergütungsanspruch nicht zusteht, um so Schaden von der Partei abzuwenden. Diese Rechtsfolge hätte gegenüber der Staatskasse auch Beachtung zu finden, wenn es die Vorschrift nicht gäbe. Insoweit kommt ihr nur eine klarstellende Funktion zu. § 54 greift letztlich auch den Rechtsgedanken des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB auf.
Rz. 3
In der Praxis haben sich bislang nur vereinzelte Anwendungsfälle mit geringer Variationsbreite ergeben. Vornehmlich geht es um Konstellationen, wo der Anwalt seinen Auftrag nicht zu Ende führen kann, weil er aus dem Berufsleben ausgeschieden ist oder sich beruflich anderweitig orientiert hat. Darüber hinaus werden gelegentlich Gründe nachträglich offenbar, die der Beiordnung von Anfang an entgegengestanden haben. Fraglich ist in der Regel nicht, ob das Verhalten des zunächst beigeordnet gewesenen Anwalts den Anwaltswechsel verursacht hat, sondern ob ihm insoweit eine von der Staatskasse darzulegende (vgl. § 45 Rdn 46) Pflichtwidrigkeit angelastet werden kann (vgl. hierzu auch § 55 Rdn 142 f.).
B. Regelungsgehalt
I. Tatbestandsvoraussetzungen
1. Veranlassung eines Anwaltswechsels
Rz. 4
Die Beiordnung eines anderen Anwalts "setzt in der Regel voraus, dass Tatsachen dargetan und glaubhaft gemacht werden, die auch eine vernünftige vermögende Partei veranlasst hätten, das bisherige Mandat zu kündigen und die durch einen Anwaltswechsel entstehenden Mehrkosten zu tragen". Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, kann von der Staatskasse nicht zur Überprüfung gestellt werden; sie muss die neue Beiordnung ohne Anfechtungsmöglichkeit hinnehmen. Andererseits kann sie sich auf eine Einschränkung der Beiordnung berufen, soweit diese nicht erfolgreich angefochten worden ist (Rdn 18; siehe § 46 Rdn 28). Die Überprüfung findet erst statt, wenn der zunächst beigeordnet gewesene Anwalt liquidieren will. Erweist sich alsdann der Anwaltswechsel als notwendig i.S.d. § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO, steht der vollen Vergütung nichts entgegen. Ein notwendiger Anwaltswechsel ist begrifflich dem ersten Anwalt nicht zurechenbar und führt stets zu einem Nebeneinander der Vergütungsansprüche beider Anwälte. Im Fall ihrer Beiordnung hat die Staatskasse für jeden von ihnen einzustehen und einen Erstattungsanspruch gegen den Gegner gem. § 59, soweit die Partei obsiegt.
Rz. 5
Ein vermeidbar gewesener Anwaltswechsel kann einerseits von der Partei und zum anderen durch den (ersten) Anwalt veranlasst worden sein. Problematisch erscheint die Situation, wenn sich das Vertragsverhältnis aufgrund unüberbrückbarer Differenzen so zuspitzt, dass es zu einer Mandatsentziehung kommt. Das ist regelmäßig ein wichtiger Grund i.S.d. § 48 Abs. 2 BRAO für die Aufhebung der Beiordnung, der allerdings nicht immer allein in der Person der Partei liegen muss. Denkbar ist auch, dass der Anwalt durch eine unbefriedigende Geschäftsbesorgung die Entziehung des Mandats geradezu herausgefordert hat. Eine solche Fallgestaltung dürfte sich jedoch tatsächlicher Aufklärungshindernisse wegen praktisch kaum feststellen lassen. Derartige Kausalitätszweifel gehen zu Lasten der Staatskasse, wenn sie den Anspruch des Anwalts auf die an sich verdienten Gebühren (teilweise) zu ...