Norbert Schneider, Peter Fölsch
a) Begrenzung auf das Doppelte der Pflichtgebühren (Abs. 3 S. 3)
Rz. 73
Nach Abs. 3 S. 3 hat die Anrechnung der Vorschüsse oder Zahlungen zu unterbleiben, soweit der Rechtsanwalt infolge der Anrechnung weniger als das Doppelte der ihm nach den VV 4100 ff. zustehenden Gebühren erhalten würde. Mit dieser neuen Formulierung ist jetzt die bisherige Streitfrage geklärt, ob die Anrechnung schon zu unterbleiben hat, wenn er das Doppelte erhält, oder erst dann, wenn er mehr als das Doppelte erhält. Die frühere Formulierung des § 101 Abs. 1 BRAGO war insoweit unklar, wurde aber auch im jetzigen Sinne verstanden.
Klargestellt ist, dass eine eventuelle Pauschvergütung aus § 51 bei der Berechnung nach Abs. 3 S. 3 außer Betracht zu bleiben hat.
Rz. 74
Bei der Anrechnung ist wie folgt vorzugehen:
1. |
Zunächst einmal sind die vollen Pflichtverteidigergebühren zu berechnen, die dem Anwalt zustehen würden, wenn keine Vorschüsse oder Zahlungen geleistet worden wären. |
2. |
Hiernach ist zu berechnen, welchen Betrag der Anwalt erhalten würde, wenn sich die Gebühren nach VV 4100 ff. verdoppeln würden (sog. Kontrollbetrag). |
3. |
Soweit die gezahlten Vorschüsse oder sonstigen Zahlungen zuzüglich des Betrages der einfachen Pflichtverteidigergebühren den Betrag der doppelten Pflichtverteidigergebühren übersteigen, ist anzurechnen. |
Oder anders ausgedrückt: Zahlungen bis zur Höhe des Differenzbetrages zwischen dem sog. Kontrollbetrag und dem Betrag der einfachen Pflichtverteidigergebühren, der damit immer der Höhe der einfachen Pflichtverteidigergebühren entspricht, sind anrechnungsfrei. Demgegenüber vertritt Hansens die Auffassung, das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren habe anrechnungsfrei zu bleiben. Für diese Ansicht gibt das Gesetz jedoch keine Grundlage. In Abs. 3 S. 3 heißt es ausdrücklich, dass die Anrechnung insoweit unterbleibt, als dem Anwalt durch diese insgesamt – also Vorschuss oder Zahlung zuzüglich Pflichtverteidigergebühren – weniger als das Doppelte verbliebe. Nach der Auffassung von Hansens könnte dem Anwalt aber insgesamt das Dreifache der Pflichtverteidigergebühren verbleiben.
Rz. 75
Zwei wichtige Punkte sind bei der Anrechnung zu beachten: Nach heute wohl einhelliger Meinung ist die Anrechnung zunächst auf der Nettobasis durchzuführen. Das bedeutet, dass die Umsatzsteuer zunächst vollkommen außer Ansatz bleibt und erst auf denjenigen Betrag berechnet wird, der nach Anrechnung verbleibt. Die früher vertretenen gegenteiligen Ansichten, dass auf der Bruttobasis zu verrechnen sei, beruhten zum Teil auf einer vormals anderweitigen Regelung des Umsatzsteuerrechts. Letztlich würde eine Abrechnung auf Bruttobasis auch nicht zu anderen Ergebnissen führen, es sei denn, die Umsatzsteuersätze würden sich zwischen Vorschuss und Festsetzung ändern.
Rz. 76
Weiterhin umstritten ist, ob bei dem sog. Kontrollbetrag – gemeint ist damit der Betrag der doppelten Pflichtverteidigergebühren – auch die Postentgeltpauschale nach VV 7002 oder gar das Doppelte der Postentgeltpauschale anzusetzen sei. Der Wortlaut des Abs. 3. S. 3 ist insoweit eindeutig. Er spricht von dem Doppelten der Gebühren. Die Postentgeltpauschale nach VV 7002 ist dem sog. Kontrollbetrag daher weder einfach noch doppelt zuzuschlagen.
Rz. 77
Eine Anrechnung hat nach alledem wie folgt auszusehen:
Beispiel: Der Anwalt wird vor der großen Strafkammer im vorbereitenden Verfahren tätig sowie in einem Hauptverhandlungstermin und einem Fortsetzungstermin. Vor seiner Bestellung als Pflichtverteidiger hat er einen Vorschuss i.H.v. 1.700 EUR zuzüglich Umsatzsteuer (2.023 EUR) für vorbereitendes Verfahren und gerichtliches Verfahren vom Beschuldigten erhalten.
Als Wahlanwaltsgebühren wären die Höchstbeträge angemessen, also netto ohne Auslagen
I. Vorbereitendes Verfahren
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
396,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
319,00 EUR |
II. Gerichtliches Verfahren
1. |
Verfahrensgebühr, VV 4118 |
759,00 EUR |
2. |
Terminsgebühr, VV 4120 |
1.023,00 EUR |
3. |
Terminsgebühr, VV 4120 |
1.023,00 EUR |
Gesamt |
3.520,00 EUR |
a) Nach h.M. wäre wie folgt zu rechnen:
Die Pflichtverteidigergebühren betragen netto ohne Auslagen wie folgt:
I. Vorbereitendes Verfahren
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
176,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
145,00 EUR |
II. Gerichtliches Verfahren
1. |
Verfahrensgebühr, VV 4118 |
348,00 EUR |
2. |
Terminsgebühr, VV 4120 |
466,00 EUR |
3. |
Terminsgebühr, VV 4120 |
466,00 EUR |
Gesamt |
1.601,00 EUR |
Das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren ergibt: |
3.202,00 EUR |
die dem Anwalt verbleiben müssten.
Der Differenzbetrag, der damit immer der Höhe der einfachen
Pflichtverteidigergebühren entspricht, beträgt damit |
1.601,00 EUR |
Bis zu diesem Betrag von 1.601 EUR werden also Zahlungen und Vorschüsse nicht angerechnet.
Dies bedeutet im konkreten Fall, dass von den gezahlten 1.700 EUR netto lediglich
(1.700 EUR – 1.601 EUR =) |
99,00 EUR |
anzurechnen sind. An Pflichtverteidigervergütung sind also somit festzusetzen:
I. Vorbereitendes Verfahren
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
176,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
145,00 EUR |
II. Gerichtliches Verfahren