Norbert Schneider, Peter Fölsch
Rz. 53
Voraussetzung für eine Anrechnung ist, dass die Zahlung oder der Vorschuss in derselben Angelegenheit erfolgt ist. Eine Anrechnungspflicht zwischen verschiedenen Angelegenheiten besteht nicht. Insbesondere können nicht Vorschüsse oder Zahlungen aus anderen Instanzen angerechnet werden. Das ist jetzt klar im Gesetz verankert (Abs. 3 S. 1), wonach Zahlungen und Vorschüsse nur auf die Vergütung derjenigen Angelegenheit angerechnet werden dürfen, für die die Zahlung oder der Vorschuss geleistet worden ist. War der Anwalt in erster Instanz als Wahlverteidiger tätig und ist er erst im Berufungsverfahren als Pflichtverteidiger bestellt worden, so sind also die auf die erstinstanzliche Vergütung geleisteten Zahlungen und Vorschüsse nicht auf die Pflichtverteidigergebühren des Berufungsverfahrens anzurechnen.
Rz. 54
Nach dem früheren Wortlaut des Abs. 3 S. 1 ("Verfahrensabschnitt") war strittig, ob das vorbereitende Verfahren und das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren als ein "Verfahrensabschnitt" anzusehen waren oder ob es sich um zwei "Verfahrensabschnitte" handelte. Bedeutung hatte dies, wenn auf das vorbereitende Verfahren Zahlungen oder Vorschüsse geleistet wurden. Ging man von zwei "Verfahrensabschnitten" aus, dann war nicht anzurechnen. Ging man von einem "Verfahrensabschnitt" aus, dann war anzurechnen.
Rz. 55
Zutreffenderweise war von gesonderten Angelegenheiten auszugehen, so dass Zahlungen auf das vorbereitende Verfahren nicht auch auf die Pflichtverteidigergebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet werden durften. Die überwiegende Rspr. sah dagegen das vorbereitende Verfahren und das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren als einen einzigen Verfahrensabschnitt an, so dass danach Zahlungen auf das vorbereitende Verfahren auch im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren anzurechnen waren. Gegen die h.M. sprach, dass das RVG für das vorbereitende Verfahren und das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren eigene Unterabschnitte mit eigenen Verfahrensgebühren vorsieht. Zudem wäre die Regelung in Anm. zu VV 4142 zum Teil überflüssig gewesen.
Rz. 56
Zunächst war im Referenten- und Regierungsentwurf nur vorgesehen, lediglich in § 17 Nr. 10, 11 klarzustellen, dass das vorbereitende Verfahren und das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten sind, ebenso das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das anschließende erstinstanzliche gerichtliche Verfahren in Bußgeldsachen. Bereits daraus hätte man schließen müssen, dass es sich auch um zwei gebührenrechtliche Verfahrensabschnitte i.S.d. Abs. 1 S. 1 handelt und daher eine Anrechnung künftig jedenfalls ausgeschlossen ist. Um jegliche Zweifel zu beseitigen ist der Gesetzgeber dem Anliegen des Bundesrats gefolgt, wonach die Frage geklärt werden sollte, wie der Begriff des Verfahrensabschnitts in Abs. 1 S. 1 RVG zu verstehen sei. Er hat demgemäß die Bezeichnung des "Verfahrensabschnitts" durch die "gebührenrechtliche Angelegenheit" ersetzt. Im Hinblick auf die weitere Klarstellung in § 17 § 18 Nr. 10a ist nunmehr eindeutig, dass Zahlungen auf das vorbereitende Verfahren nicht auf das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren angerechnet werden können und umgekehrt.
Rz. 57
Ebenfalls hat eine Anrechnung zu unterbleiben, wenn Vorschüsse oder Zahlungen auf Angelegenheiten erfolgt sind, die von der Pflichtverteidigung nicht abgedeckt werden.
Beispiel 1: Der Beschuldigte leistet dem Anwalt einen Vorschuss für dessen Tätigkeit in einem Gnadenverfahren.
Da die Tätigkeit im Gnadenverfahren nicht von der Pflichtverteidigerbestellung erfasst wird, kommt insoweit eine Anrechnung nicht in Betracht.
Beispiel 2: Der Beschuldigte zahlt dem Anwalt dessen Vergütung für einen nachträglichen Antrag auf Strafaussetzung.
Die Vergütung nach VV 4300 Nr. 2 für die Tätigkeit des Anwalts ist ebenfalls nicht von der Pflichtverteidigerbestellung erfasst, so dass auch hier eine Anrechnung zu unterbleiben hat.
Rz. 58
Auch kommt eine Anrechnung dann nicht in Betracht, wenn für eine Tätigkeit gezahlt wird, die im konkreten Fall nicht von der Bestellung erfasst ist.
Beispiel: Der Beschuldigte beauftragt den Anwalt, ein Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben. Nachdem das Gericht die Wiederaufnahme angeordnet hat (§ 370 StPO), wird der Anwalt im wiederaufgenommenen Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt.
Zahlungen, die der Beschuldigte auf die Vergütung des Wiederaufnahmeverfahrens leistet, sind nicht anzurechnen, da eine rückwirkende Bestellung nicht möglich ist und die Tätigkeit im Wiederaufnahmeverfahren daher nicht nach § 48 Abs. 6 zu vergüten ist. Die Vorschrift des § 48 Abs. 6 erstreckt sich nicht auf das Wiederaufnahmeverfahren. Die Zahlung des Beschuldigten bleibt daher anrechnungsfrei, da sie für einen anderen Verfahrensabschnitt (§ 17 Nr. 12) geleistet worden ist.
Rz. 59
Anders verhält es sich dagegen im Falle einer nach § 48 Abs. 6 angeordneten Rückwirkung.
Beispiel: Der Anwalt lässt sich Vorschüsse gewähren. Er w...