Norbert Schneider, Peter Fölsch
I. Regelungsgehalt
Rz. 1
Die Vorschrift regelt für drei typisierte Arten von Angelegenheiten (Beratungshilfe, Verfahren nach VV Teil 3 und Verfahren nach VV Teil 4–6) die Erfüllungswirkung von Leistungen auf den (zukünftigen) Vergütungsanspruch des beigeordneten, bestellten oder im Wege der Beratungshilfe tätigen Anwalts. Es geht um eine gesetzliche Leistungsbestimmung im Außenverhältnis zur Staatskasse für Zahlungen der Partei oder eines Dritten (§ 267 BGB).
II. Subsidiäre Haftung der Staatskasse
Rz. 2
Reichen diese Zahlungen an den Anwalt hin, um seine volle Vergütung in einer Angelegenheit nach Abs. 2 abzudecken, kommt die nur subsidiäre Haftung der Staatskasse uneingeschränkt zur Geltung. Sie braucht überhaupt nicht zu leisten und kann erbrachte Leistungen zurückfordern. Wird von der Partei oder dritter Seite nur ein Teil der vollen Vergütung gezahlt, konkurrieren Anwalt und Staatskasse miteinander, wem die Zahlung vorrangig zugutekommen soll. Es stellt sich die Frage, ob die Zahlung in erster Linie auf die Grundvergütung oder auf den Unterschiedsbetrag zwischen Grundvergütung und Regelvergütung gutgeschrieben werden soll. Bei dieser Zuordnung geht es um eine ähnliche Regelungsmaterie wie bei der Anrechnungsvorschrift des § 366 BGB (vgl. auch § 225 AO).
Rz. 3
Für die Staatskasse ist von Interesse, ob sie durch Fremdleistungen von ihrer Schuld dem beigeordneten oder bestellten Anwalt gegenüber (teilweise) befreit wird. Ist die Gesamtforderung des Anwalts der Partei gegenüber höher als ihr gegenüber (vgl. § 49 Rdn 9 ff.), so stellt sich im Rahmen des Dreiecksverhältnisses Anwalt – Partei – Staat ihre Verpflichtung vergleichbar der einer Teilbürgschaft dar (vgl. § 45 Rdn 7). Das Bestreben der Staatskasse liefe darauf hinaus, jede Teilerfüllung auf ihren Haftungsanteil anzurechnen. Der Gesetzgeber ist den entgegengesetzten Weg gegangen. Er hält sich – ebenso wie bei § 366 Abs. 2 BGB – strikt an den Gedanken des Gläubigerschutzes, indem die Zahlungseingänge bei dem Anwalt zunächst dem einredebehafteten (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) oder nicht abgesicherten Teil der Forderung und zuletzt dem sicheren Teil, für den die Staatskasse haftet, gutgeschrieben werden.
III. Fehlende Leistungsbestimmungen
Rz. 4
Der Gesetzgeber geht wie selbstverständlich davon aus, dass eine abweichende Leistungsbestimmung der Partei oder des Dritten fehlt. Das erscheint auch naheliegend, weil dadurch der Anwalt schlechter als bei der gesetzlichen Regelung gestellt würde und für eine derartige Willensrichtung kein vernünftiger Grund ersichtlich ist. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Vorschrift den Grundsätzen des Privatrechts zuwider die gewillkürte Leistungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) verdrängen will. Vielmehr hat eine solche ohne weiteres Vorrang (vgl. Rdn 40 ff.).
IV. Zahlungen in Angelegenheiten nach VV Teil 4–6
1. Beigeordnete und bestellte Rechtsanwälte
Rz. 5
Die Vorschrift des Abs. 3 regelt insbesondere die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen, die der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten oder einem Dritten erhalten hat. Die Vorschrift ist ferner für alle in den Angelegenheiten nach VV Teil 4–6 beigeordneten oder bestellten Rechtsanwälte anwendbar, also z.B. für einen dem Privatkläger (§ 379 Abs. 3 StPO), dem Nebenkläger (§ 397a Abs. 2 StPO), dem Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren oder einem anderen Beteiligten beigeordneten Anwalt (gem. § 68b Abs. 2 StPO beigeordneter Zeugenbeistand). War der Rechtsanwalt zunächst Wahlverteidiger oder Wahlanwalt und ist er dann (nach Niederlegung des Wahlverteidigermandats) zum Pflichtverteidiger bestellt bzw. im Wege der PKH beigeordnet worden, gilt § 58 Abs. 3 grds. ebenfalls.
2. Unterschied zur Prozesskostenhilfe
Rz. 6
Im Gegensatz zu dem in Zivilsachen im Wege der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt, für den Zahlungen und Vorschüsse zunächst auf die höhere Wahlanwaltsvergütung anzurechnen sind, ordnet Abs. 3 S. 1 an, dass Zahlungen und Vorschüsse des Mandanten bzw. Auftraggebers oder eines Dritten unmittelbar auf die aus der Landes- oder Bundeskasse zu gewährende Vergütung anzurechnen sind. Bei der Festsetzung der aus der Landes- oder Bundeskasse zu zahlenden Vergütung nach § 55 sind diese anzurechnenden Beträge abzusetzen. Soweit der Rechtsanwalt hier nachträglich vom Mandanten oder von einem Dritten Zahlungen erhält, ist er nach Abs. 3 S. 2 zur Rückzahlung an die Staatskasse verpflichtet.
3. Einschränkung der Anrechnungspflicht
Rz. 7
Die Pflicht zur Anrechnung wird in Abs. 3 S. 3 allerdings dahingehend eingeschränkt, dass eine Anrechnung oder Rückzahlung nur vorzunehmen ist, soweit der Anwalt ohne Anrechnung oder Rückzahlung insgesamt mehr als den doppelten Betrag der ihm nach § 45 aus der Staatskasse zustehenden gesetzlichen Vergütung erhalten würde. S. 4 klärt, dass die Gesamtgebühren des Pflichtverteidigers die im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höchstgebühren eines Wahlverteidigers nicht überschreiten sollen. Abs. 3 S. 4 ist durch das KostRÄG 2021 geändert worden.