Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
1. Vorüberlegungen
Rz. 111
Die Mehrfachvertretung hat gegenüber mehreren Einzelvertretungen für die Mandanten einen grundsätzlichen Vorteil: Sie reduziert das Kosten- und Liquiditätsrisiko. Das wirkt sich insbesondere dann aus, wenn entweder die vertretenen Rechtspositionen zweifelhaft erscheinen oder aber wenn diese zwar als stark eingeschätzt werden, jedoch die finanzielle Situation des Gegners Anlass zur Besorgnis gibt. In solchen Fällen ist es in der Regel angezeigt, ein besonderes Augenmerk auf die Kostenseite zu legen und im Rahmen der anwaltlichen Beratung zur Mehrfachvertretung auf deren Vorteile besonders hinzuweisen.
Rz. 112
Andere Überlegungen stellen sich allerdings ein, wenn das Kostenrisiko – aus welchen Gründen auch immer – weitgehend vernachlässigt werden kann. Dann sollte der Anwalt erwägen, ob statt einer Mehrfachvertretung mehrere Einzelvertretungen durch ihn selbst oder durch verschiedene Anwälte angezeigt sind. Diese Möglichkeit gewinnt dadurch besondere Aktualität, dass nach der neuen Rechtsprechung des BGH (vgl. Rdn 74) der wirtschaftliche Vorteil einer Mehrfachvertretung erheblich geringer ausfällt, weil hiernach den Streitgenossen verwehrt wird, im Rahmen ihrer Haftungsanteile nach Abs. 2 den ihnen günstigsten Innenausgleich zu wählen.
2. Getrennte Rechtswahrnehmung durch denselben Anwalt
Rz. 113
Bei der Rechtsverfolgung für mehrere Gläubiger hat der Anwalt rechtlich die Möglichkeit, die Ansprüche eines jeden Gläubigers einzeln geltend zu machen, soweit keine notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) vorliegt. Antragsteller sind "grundsätzlich frei in der Wahl, ob sie mehrere aus einem einheitlichen wirtschaftlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen mehrere Personen oder auch gegen eine Person in einem verbundenen Verfahren oder in getrennten Prozessen verfolgen." Die Anspruchserhebung kann auch zeitlich gestaffelt sein. Der Anwalt muss nicht für sämtliche in Betracht kommende Gläubiger gleichzeitig tätig werden. So kann er zunächst für einen von ihnen vorgehen und dieses Verfahren abschließen, falls sich ergeben sollte, dass die Aktivlegitimation fehlt, bevor er zugunsten eines anderen in derselben Sache tätig wird. Bei einer Vertretung von Schuldnern hat der Anwalt nach der Rechtsprechung des BGH mit dem jeweiligen Mandanten zu erörtern, ob eine gemeinsame Rechtsverteidigung aller Schuldner angezeigt erscheint, weil Interessenkonflikte zwischen ihnen weder bestehen noch zu erwarten sind. (Kommt es gleichwohl zu Einzelvertretungen, sollen die Mehrkosten gegenüber einer gemeinsamen Vertretung nicht erstattungsfähig sein, was sich allerdings mit einem Pflichtverstoß im Prozessrechtsverhältnis nicht begründen lässt.)
Rz. 114
Getrennte Anspruchserhebungen mehrerer Gläubiger – insbesondere Klagen – sind nicht nur zulässig, sondern u.U. die Methode der Wahl (z.B. zeitliche Staffelung, um einen Pilotprozess durchzuführen; parallele Klagen, um verschiedene Richter damit befassen zu können oder um die Verfahren überschaubarer zu halten; oder aus organisatorischen Gründen bei schwierigen Verhältnissen/Abstimmungsproblemen der Mandanten untereinander; oder zur beschleunigten Abhandlung einzelner Ansprüche). Der Anwalt braucht insoweit nur die Belange der eigenen Mandanten, nicht hingegen auch das Interesse der Gegenseite an einer Geringhaltung der Kosten zu berücksichtigen. Eine Besonderheit ergibt sich allerdings für das Wettbewerbsrecht.
Rz. 115
Mehrere Mandanten können ein persönliches Interesse daran haben, einen gemeinsamen Gegner mit getrennten Klagen zu überziehen. Diese Freiheit in der Auseinandersetzung räumt das Gesetz ihnen ein. Das Gebot zur sparsamen Prozessführung (§ 91 ZPO) ist Ausfluss des Prozessrechtsverhältnisses und gilt daher nicht auch für die Entscheidung, auf welche Weise die Partei angreifen will. Im Verfahrensrecht besteht ebenso wie im materiellen Recht prinzipiell Koalitionsfreiheit; grundsätzlich ist niemand verpflichtet, sich zur Durchführung eines Verfahrens mit einem anderen zusammenzuschließen. Die Grenze der Prozesstaktik ist jedoch das allgegenwärtige Verbot des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB). Erscheint das Vorgehen nicht prozessökonomisch, so hat das Gericht allerdings eine Korrekturmöglichkeit, indem es die Sachen nachträglich verbindet (§ 147 ZPO).
Rz. 116
Vermag der Anwalt für eine differenzierte Handhabung nichts anzuführen, sollte er den Gesichtspunkt einer getrennten Rechtsverfolgung aus erstattungsrechtlicher Sicht vorsichtig handhaben. Zwar treffen ihn im Verhältnis zum Gegner grundsätzlich keinerlei Fürsorgepflichten. Mit kostenrechtlichen Nachteilen aus einer getrennten Anspruchsverfolgung muss er an sich nur rechnen, wenn das prozessrechtlich zulässige Verhalten der Streitgenossen "außerhalb des Verständigen" liegt, was von der Gegenseite darzulegen wäre, falls es sich nicht schon anhand der Aktenlage ergibt. Der Sache nach geht es um den Vorwurf, durch das Unterlassen der Bündelung sämtlicher Ansprüche in einem Prozess sittenwidrig schädigen zu wollen (§ 826 BGB). Da...