Peter Fölsch, Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
Rz. 16
Handelt es sich hingegen bei Rdn 17 um "unechte" Streitgenossen, werden also die Gebühren nach § 22 Abs. 1 durch Addition der Gegenstandswerte auf 150.000 EUR (3 x 50.000 EUR) berechnet, weil verschiedene Gegenstände anhängig sind, so würde sich die Verfahrensgebühr des beigeordneten Anwalts ungeachtet der Mehrheit von Auftraggebern gleichwohl nur auf die Höchstgebühr von 856,70 EUR (1,3 von 659 EUR bei einem Wert von 150.000 EUR) belaufen, da es angesichts dieser Festgebühr bei Werten über 50.000 EUR letztlich keinen Unterschied macht, ob der Gegenstandswert 70.000 EUR oder 150.000 EUR beträgt (zur entsprechenden Regelung siehe § 22 Rdn 34 ff.). Das liefe nicht nur dem Grundsatz zuwider, wonach eine Mehrfachvertretung stets eine höhere Vergütung bewirkt als eine Einzelvertretung (siehe § 7 Rdn 3), sondern würde darüber hinaus auch zu einem Wertungswiderspruch führen, weil die Mehrfachvertretung von unechten Streitgenossen geringer vergütet würde als eine solche von echten Streitgenossen, obwohl sie vom Gesetzgeber als arbeitsintensiver angesehen wird. Um diesen Widerspruch aufzuheben, "ist der Richter schon nach den Grundsätzen des einfachen Rechts zu einer Ergänzung aufgerufen, die in einem vom Gesetzgeber offensichtlich nicht bedachten Teilbereich ein der Gesamtregelung widersprechendes Ergebnis vermeidet. Wo das möglich ist, erübrigt sich die Prüfung, ob sonst nicht mit Rücksicht auf eine höherrangige Norm (hier etwa Art. 3 Abs. 1 GG) dem Gesetz die Gefolgschaft verweigert werden müsste."
Rz. 17
Deshalb kommt dem beigeordneten Anwalt, der für mehrere Auftraggeber tätig ist, auch bei Verschiedenheit der Gegenstände die Erhöhung nach VV 1008 zugute, wenn und soweit sich die Kumulation der Streitwerte nach § 22 Abs. 1 wegen der Festgebühr des § 49 nicht zu seinen Gunsten auswirkt (vgl. VV 1008 Rdn 78). Damit ist der Mehrvertretungszuschlag zwar immer noch geringer als ohne Beiordnung. Denn die Erhöhung nach VV 1008 bleibt deutlich hinter der Erhöhung durch Anhebung der Gebühr nach § 13 infolge Addition der Gegenstandswerte zurück. Durch diese "Notlösung" erhält der beigeordnete Anwalt allerdings selbst bei hohen Gegenstandswerten noch einen kleinen Vorteil gegenüber einer Einzelvertretung, wenn auch unter Missachtung der Erkenntnis des Gesetzgebers, dass eine Vertretung von unechten Streitgenossen in der Regel mehr Aufwand mit sich bringt als eine solche von echten Streitgenossen. Diese Differenzierung gemäß § 22 und VV 1008 fällt der Höchstgebühr ebenso zum Opfer wie das Schema der wertbezogenen Vergütung.
Rz. 18
Die bei unechten Streitgenossen an sich systemwidrige Erhöhung nach VV 1008 versteht sich als Mindestbetrag des Mehrvertretungszuschlags. Daher bleibt es immer dort, wo die Addition der Gegenstandswerte zu höheren Gebühren führt, bei der Abrechnung nach § 22 Abs. 1. Hierauf sollte der beigeordnete Anwalt durch Gegenüberstellung der beiden Berechnungsmethoden besonders achten, wenn er es mit einem Grenzfall zu tun hat.
Beispiel: Der Anwalt ist erstinstanzlich zwei unechten Streitgenossen beigeordnet. Die Gegenstandswerte belaufen sich auf 22.000 EUR und 17.000 EUR. Es fallen eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr an.
An Vergütung nach der PKH-Gebührentabelle (§ 49) könnte der Anwalt nach § 22 Abs. 1 2,5 Gebühren zu je 531 EUR (Wert: 39.000 EUR), insgesamt also 1.327,50 EUR netto abrechnen.
Die Abrechnung nach VV 1008 ergibt eine Verfahrensgebühr mit 1,6 von 384 EUR (Wert: 17.000 EUR Mehrfachvertretung) zuzüglich 1,3 aus 284 EUR (Wert: 5.000 EUR Einzelvertretung), jedoch nach § 15 Abs. 3 nicht mehr als 1,6 aus 531 EUR (Wert: 39.000 EUR), also 849,60 EUR. Mit der Terminsgebühr von 1,2 aus 531 EUR (Wert: 39.000 EUR) i.H.v. 637,20 EUR erhält der Anwalt zusammen netto 1.486,80 EUR, mithin 159,30 EUR mehr.