I. Allgemeines
Rz. 263
Nach dem RVG, welches das selbstständige Beweisverfahren in § 19 nicht nennt, stellt das selbstständige Beweisverfahren eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit dar, in der die Gebühren nach VV Teil 3 jeweils selbstständig neben denen des eventuellen Streitverfahrens entstehen können. Um eine doppelte Vergütung für (annähernd) dieselbe Tätigkeit zu vermeiden, erfolgt nach Abs. 5 eine Anrechnung der Verfahrensgebühr für das selbstständige Beweisverfahren auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits. Diese Anrechnung setzt voraus, dass der Gegenstand des Beweisverfahrens auch Gegenstand eines Rechtsstreits ist oder wird.
Rz. 264
Nach der Gesetzesänderung zum 1.4.1991 der §§ 485 ff. ZPO kann das selbstständige Beweisverfahren während oder außerhalb eines Streitverfahrens angeordnet werden. Zusätzlich zur eigentlichen Beweissicherung kann es auch mit dem Zweck durchgeführt werden, die rechtsstreitlose Beilegung eines Streitfalls zu ermöglichen. Das Gericht kann im selbstständigen Beweisverfahren die Parteien zur mündlichen Erörterung laden, wenn eine Einigung zu erwarten ist (§ 492 Abs. 3 ZPO). In der Praxis wird allerdings von den Gerichten von dieser Möglichkeit auch nach der Neuregelung der ZPO kaum Gebrauch gemacht.
II. Regelungsgehalt
1. Anrechnung nur der Verfahrensgebühr
Rz. 265
Abs. 5 bestimmt ausdrücklich, dass nur die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Dies bedeutet, dass z.B. die Terminsgebühr nach VV 3104 aus dem selbstständigen Beweisverfahren auch bei nachfolgendem Hauptsacheverfahren anrechnungsfrei bleibt. Gleiches gilt für alle anderen, etwa noch anfallenden Gebühren. Auch die Auslagenpauschale unterliegt nicht der Anrechnung. Die zeitliche Abfolge von selbstständigen Beweisverfahren bzw. Hauptsacheverfahren ist für die Anrechnung nicht entscheidend: Die Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs erfolgt nicht nur dann, wenn das Beweisverfahren nicht dem Hauptsachverfahren vorgeschaltet ist, sondern auch dann, wenn es erst nach Einleitung des Hauptsacheverfahrens durchgeführt wird. Denn Abs. 5 spricht davon, dass der Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand eines Rechtsstreits "ist oder wird".
2. Identität der Gegenstände
Rz. 266
Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr findet statt, soweit der Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand eines Rechtsstreits ist bzw. wird. Ob die Gegenstände identisch sind, ist in erster Linie nach dem Inhalt der gestellten Anträge zu ermitteln. Der Zeitpunkt, in dem die Identität gegeben ist, ist demgegenüber irrelevant. Der einzig entscheidende Punkt für die Frage der Anrechenbarkeit ist, dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Identität gegeben ist.
Beispiel: Es wird ein selbstständiges Beweisverfahren zur Feststellung von Baumängeln durchgeführt. Der Antragsgegner klagt sodann auf Zahlung von Werklohn. In diesem Prozess beruft sich der Beklagte auf die fehlende Fälligkeit des Werklohns, hilfsweise rechnet er mit einer Forderung aus Mangelbeseitigung auf. Verneint in diesem Fall das Gericht bereits die Fälligkeit der Klageforderung, so ist der Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens nicht mit dem des späteren Klageverfahrens identisch, so dass eine Anrechnung nicht in Betracht kommt.
Rz. 267
Unerheblich für die Frage der Anrechnung ist es, ob das selbstständige Beweisverfahren dem eigentlichen Rechtsstreit vorgeschaltet war oder ob dieses parallel betrieben wurde, was nach § 485 Abs. 1 ZPO zulässig ist.
Die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens ist auch dann auf die Verfahrensgebühr eines parallelen oder nachfolgenden Rechtsstreits anzurechnen, wenn das das Klageverfahren beendende Urteil wegen einer zulässigen Klageänderung nicht mehr über den Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens, der zunächst Gegenstand des Rechtsstreits war, entscheidet, sondern über einen anderen Gegenstand. Geht also ein Kläger, der sich auf einen Werkvertrag stützt, nach durchgeführtem selbstständigen Beweisverfahren von der Nachbesserung zum Schadenersatz über, wird die Verfahrensgebühr des Beweisverfahrens angerechnet, soweit diese streitwertmäßig (z.B. hinsichtlich der Mängel) im selbstständigen Beweisverfahren enthalten war.
Rz. 268
Ist der Anwalt zuvor noch außergerichtlich für den Auftraggeber tätig gewesen, so ist wie folgt abzurechnen:
Beispiel: Der Anwalt ist zunächst außergerichtlich wegen Baumängeln i.H.v. 30.000 EUR tätig. Die Sache ist sehr umfangreich, so dass eine 2,0-Gebühr angemessen ist. Anschließend führt der Anwalt das Beweisverfahren durch. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. Hiernach kommt es zum Hauptsacheverfahren, in dem nach mündlicher Verhandlung ein Urteil ergeht.
I. Außergerichtliche T...