Rz. 86
Strittig ist, ob eine Einigung vorliegt, wenn der Kläger die Klage zum Teil zurücknimmt und der Beklagte im Übrigen die Klageforderung anerkennt. Problematisch waren im Rahmen der früheren Vergleichsgebühr die Tatbestandsmerkmale des gegenseitigen Nachgebens sowie des gegenseitigen Vertrages (beachte auch "Klageverzicht", Rdn 95).
Rz. 87
Da ein gegenseitiges Nachgeben bei der Einigungsgebühr nicht mehr erforderlich ist, wird deren Entstehung zu bejahen sein, wenn die Klagerücknahme Zug um Zug gegen Abgabe des Anerkenntnisses erfolgt. Nur dann, wenn der Kläger ausnahmsweise von der teilweisen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit seiner Klage überzeugt ist und der Beklagte von der teilweisen Begründetheit der Klage im Übrigen und beide unabhängig voneinander ihre Prozesserklärungen abgeben, wird es an einer Ungewissheit und damit an den Voraussetzungen der VV 1000 fehlen. Dies dürfte allerdings eher eine theoretische Ausnahme sein.
Rz. 88
Vielmehr wird es in solchen Fällen entscheidend darauf ankommen, ob das wechselseitige Vorgehen der Parteien auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht. Im Hinblick darauf, dass an die vertragliche Vereinbarung jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen sind und eine solche Vereinbarung auch formlos durch schlüssiges Verhalten getroffen werden kann, wird in der Regel von einer zumindest konkludenten vertraglichen Absprache und damit von einer Einigung auszugehen sein.
Rz. 89
Nicht ausreichend sind jedoch rein prozessuale Gestaltungserklärungen ohne materiell-rechtliche Grundlage, die eine Mitwirkung des Prozessgegners erfordern (hier: Zustimmung zur Klagerücknahme). Hat der Beklagte die Klageforderung erfüllt und erklärt er gegenüber dem Gericht, im Falle der Rücknahme die Kosten des Verfahrens zu übernehmen, so verneint das OLG München das Anfallen einer Einigungsgebühr: Die prozessualen Gestaltungserklärungen der Parteien beruhten nicht auf einer – sei es auch stillschweigenden – Vereinbarung. Vielmehr beruhe die Erklärung des Beklagten, die Kosten übernehmen zu wollen, auf seinem Wunsch nach einer Reduzierung der Gerichtskosten.
Rz. 90
Eindeutig ist die Situation, wenn die Parteien vor Klagerücknahme und Anerkenntnis eine Vereinbarung schließen, insbesondere dann, wenn sie ausdrücklich protokollieren lassen, dass der Kläger sich bereit erklärt, Zug um Zug gegen Anerkenntnis einer Teilforderung die restliche Klageforderung zurückzunehmen.
Rz. 91
Vereinbaren die Prozessparteien dagegen, dass der Beklagte die Klageforderung nebst Zinsen und Kosten begleichen solle und der Kläger anschließend die Klage zurücknehme, so soll es an einer Einigung fehlen. Anderer Auffassung ist dagegen das AG München, das eine Vergleichsgebühr angenommen hatte, wenn der Beklagte Zug um Zug gegen Erfüllung der Klageforderung und Rücknahme der Klage auch die Kosten übernahm, da die Parteien sich abweichend von der Regelung des § 269 Abs. 3 ZPO über die Kosten des Verfahrens einigten und der Kläger auf eine rechtskräftige Titulierung seiner Forderung verzichtete.
Rz. 92
Entgegen der früheren Rechtsprechung, wonach die Festsetzung einer Einigungsgebühr es erforderte, dass die Parteien einen als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO haben protokollieren lassen (§§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 f. ZPO) reicht es jetzt für die Festsetzbarkeit einer Einigungsgebühr aus, dass glaubhaft gemacht wird, dass die Parteien eine Vereinbarung i.S.v. VV 1000 geschlossen haben. Die Protokollierung eines als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht mehr erforderlich.