Rz. 73
Seit dem 2. KostRMoG ist weitere Voraussetzung für das Entstehen der Terminsgebühr, dass mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Der Gesetzgeber wollte damit die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig sei. Im Fall des Gerichtsbescheids sowohl im Verfahren nach der VwGO als auch im Verfahren nach dem SGG liege es allein in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu beenden. Die Beteiligten könnten in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. Das Entstehen der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat, sollte daher auf diese Fälle beschränkt werden.
Rz. 74
In der Rechtsprechung wird dazu teilweise die Auffassung vertreten, dass der Prozessbevollmächtigte der durch stattgebenden Gerichtsbescheid voll obsiegenden Partei keine fiktive Terminsgebühr verdienen kann, da mangels Beschwer kein – zulässiger – Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden könne. Ein lediglich theoretisches Antragsrecht sei mit Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift nicht vereinbar. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der ergänzten Ausnahmeregelung. Nach a.A. lässt sich solch eine Beschränkung dem Gesetzeswortlaut von Abs. 1 Nr. 2 nicht entnehmen. Die Regelung gilt unabhängig davon, ob der Gerichtsbescheid der Klage vollständig stattgegeben hat. Dies wird u.a. damit begründet, dass auch der Prozessbeteiligte, der durch einen Gerichtsbescheid "auf den ersten Blick" vollumfassend obsiegt hat, einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen könnte, der nicht von vornherein mangels Beschwer unzulässig ist, wenn er der Auffassung ist, sein Begehren sei in Wirklichkeit nicht umfassend erfüllt worden. Ob das Begehren des Klägers – gerade auch aus seiner Sicht – umfassend erfüllt worden ist, werde sich jedoch, wenn von einem Antrag auf mündliche Verhandlung abgesehen wird und der Gerichtsbescheid deshalb (für ihn) rechtskräftig wird, nicht mehr feststellen lassen. Das wirkliche (subjektive) Klagebegehren ist durch Auslegung zu ermitteln, und auch ausdrücklich gestellte Klageanträge müssen vom Gericht sachdienlich ausgelegt werden. Gerade im rein schriftlichen Verfahren wie dem Gerichtsbescheidsverfahren ist die Möglichkeit, dass das Gericht das wirkliche Klageziel eines Prozessbeteiligten nur unzureichend ermittelt hat, nicht von der Hand zu weisen. Das Kostenfestsetzungsverfahren soll jedoch mit solchen Fragen nicht belastet werden. Überdies lasse die Gegenansicht außer Acht, dass es rechtlich umstritten ist, ob ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen werden kann oder ob hierüber stets durch Urteil – und damit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, soweit hierauf nicht verzichtet wird – zu entscheiden ist. Eine Terminsgebühr fällt also (nur) dann nicht an, wenn der Gerichtsbescheid kraft Gesetzes berufungsfähig ist oder das Verwaltungsgericht die Berufung zugelassen habe, weil dann eine mündliche Verhandlung nicht obligatorisch ist.
Rz. 75
Des Weiteren ist umstritten, ob das Entstehen der Terminsgebühr nach Abs. 1 Nr. 2 auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt ist, in denen der Antrag auf mündliche Verhandlung der einzige mögliche Rechtsbehelf ist, oder auch auf § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO Anwendung findet, wonach die Beteiligten Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen können; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt. Nach zutreffender und wohl h.M. kann eine fiktive Terminsgebühr auch in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO, § 105 Abs. 2 S. 3 SGG entstehen, also dann, wenn der unterlegene Beteiligte zwischen mündlicher Verhandlung und einem Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 84 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung (§ 105 Abs. 2 S. 3 SGG) wählen kann, da auch in diesen Fällen der Rechtsanwalt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in erster Instanz erzwingen kann. Für die eingeschränkte Auslegung der Gegenauffassung gibt das Gesetz keinerlei Anhaltspunkte. Der Wortlaut ist eindeutig. Insbesondere sprechen auch Sinn und Zweck dafür, die Vorschrift der Anm. Abs. 1 Nr. 2 auf alle Fälle des Gerichtsbescheids anzuwenden, in denen eine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann.