I. Überblick
Rz. 34
Zum 3.12.2011 ist das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren v. 24.11.2011 in Kraft getreten. Gleichzeitig sind für die neu eingeführten Verfahren auch zum Teil neue Kostentatbestände geschaffen worden, und zwar sowohl für die Anwalts- als auch für die Gerichtsgebühren. Die Vergütungsregelung für die Anwaltsgebühr findet sich in VV 3300 Nr. 3. Ergänzend gilt VV Vorb. 3.3.1.
II. Verfahren
Rz. 35
Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hat der Gesetzgeber Ansprüche auf Entschädigung gesetzlich geregelt, die einem Verfahrensbeteiligten zustehen, wenn er infolge der unangemessenen Dauer des Verfahrens einen Nachteil erleidet. Die Entschädigung beträgt 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung, kann aber auch höher oder niedriger festgesetzt werden (§ 198 Abs. 1 GVG). Die Entschädigung ist vom Land zu zahlen, wenn die Verzögerung von einem Gericht des Landes verursacht worden ist und vom Bund, wenn die Verzögerung von einem Bundesgericht verursacht worden ist. Entsprechendes gilt bei Ermittlungsverfahren durch eine Staatsanwaltschaft oder Finanzbehörde.
Rz. 36
Richtet sich das Verfahren gegen eine Landesregierung, ist in erster Instanz in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen, Familiensachen, Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Straf- und Bußgeldsachen) das OLG zuständig, in dessen Bezirk die Regierung ihren Sitz hat (§ 201 Abs. 1 S. 1 GVG). Gegen dessen Entscheidung ist die Revision zum BGH möglich (§ 201 Abs. 2 S. 1 GVG).
Rz. 37
Soweit sich das Verfahren gegen die Bundesregierung richtet, ist der BGH erstinstanzlich zuständig (§ 201 Abs. 1 S. 1 GVG). Ein Rechtsmittel gibt es in diesem Fall nicht.
Rz. 38
In anderen Gerichtsbarkeiten sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden.
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In der Arbeitsgerichtsbarkeit sind also erstinstanzlich die Landesarbeitsgerichte zuständig, wenn sich das Verfahren gegen die Landesregierung richtet und das BAG, wenn sich das Verfahren gegen die Bundesregierung richtet. Revisionsgericht ist das BAG (§ 9 Abs. 2 S. 2 ArbGG). |
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In Verwaltungssachen sind erstinstanzlich zuständig die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe bzw. das BVerwG. Revisionsgericht ist das BVerwG (§ 173 S. 2 VwGO). |
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In Sozialsachen sind erstinstanzlich die Landessozialgerichte bzw. das BSG zuständig. Revisionsgericht ist das BSG (§ 202 S. 2 SGG). |
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In finanzgerichtlichen Verfahren, in denen ohnehin nur zwei Instanzen vorgesehen sind, ist das FG erstinstanzlich zuständig bzw. der BFH. Revisionsgericht ist der BFH (§ 155 S. 2 FGO). |
III. Anwaltsvergütung
1. Überblick
Rz. 39
In den in VV 3300 Nr. 3 eingeführten Verfahren werden die Anwaltsgebühren nach dem Wert der anwaltlichen Tätigkeit erhoben (§ 2 Abs. 1). Dies gilt auch in sozialgerichtlichen Verfahren, selbst dann, wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört und an sich gem. § 3 Abs. 1 S. 2 nach Rahmengebühren abzurechnen wäre. Das ist durch den ebenfalls eingefügten § 3 Abs. 1 S. 3 klargestellt worden.
2. Vorgerichtliche Tätigkeit
Rz. 40
Entschädigungsansprüche nach § 198 Abs. 2 GVG können zunächst außergerichtlich geltend gemacht werden. Die dahingehende Tätigkeit des Anwalts wird dann mit einer Geschäftsgebühr nach VV 2300 abgerechnet (VV Vorb. 2.3 Abs. 2). Die Gebühr erhöht sich bei mehreren Auftraggebern nach VV 1008, wenn diese gemeinsam einen Ersatzanspruch geltend machen.
Rz. 41
Hinzukommen kann eine Einigungsgebühr nach VV 1000 in Höhe von 1,5. Eine Erledigungsgebühr nach VV 1002 ist nicht möglich, da es sich nicht um ein Verwaltungsverfahren handelt.
3. Gerichtliche Tätigkeiten
a) Überblick
Rz. 42
Kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren nach § 201 GVG, richtet sich die Vergütung nach VV Teil 3.
b) Erstinstanzliche Verfahren
aa) Verfahrensgebühr
Rz. 43
Obwohl es sich um erstinstanzliche Verfahren handelt, richtet sich die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts (VV Vorb. 3 Abs. 2) nicht nach VV Teil 3 Abschnitt 1 (also nach den VV 3100, 3101 – 1,3/0,8 Gebühr). Die Höhe der Verfahrensgebühr richtet sich vielmehr – mit Ausnahme der Verfahren vor dem FG – nach VV 3300 (1,6/1,1), die zu diesem Zweck eingeführt worden ist. Der Gesetzgeber wollte damit der Besonderheit Rechnung tragen, dass diese Verfahren erstinstanzlich bereits vor den Gerichten höherer Instanz geführt werden, sodass nur eine Tatsacheninstanz eröffnet ist und damit i.d.R. ein höherer Arbeitsaufwand und eine höhere Verantwortung verbunden sind.
Rz. 44
Lediglich für die Verfahren vor den Finanzgerichten bedurfte es keiner gesonderten Regelung, da diese erstinstanzlich ohnehin schon mit einem Gebührensatz von 1,6 abgerechnet werden (VV Vorb. 3.2.1 Nr. 1 i.V.m. VV 3200).
Rz. 45
Auch für die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten wäre an sich eine gesonderte Regelung entbehrlich gewesen, da es hier bereits erstinstanzliche Verfahren vor den OVG/VGH und dem BVerwG gibt und diese Verfahren bereits nach VV 3300 Nr. 2 erfasst sind. Dennoch werden auch diese Verfahren in VV 3300 Nr. 3 erwähnt. Die doppelte Erwähnung ist derzeit wohl unschädlich, allerdings verwirrend...