Rz. 96
Für die Auslegung von Testamenten hat das Erbgesetzbuch im 11. Kapitel Anweisungen gegeben. Hauptgrundsatz ist, "dass einem Testament die Auslegung zu geben ist, die als mit dem Willen des Testators als übereinstimmend anzusehen ist" (ÄB 11:1, Abs. 1). In Abs. 2 heißt es: "Hat ein Testament durch einen Schreibfehler oder sonst wie infolge eines Versehens einen anderen Inhalt bekommen als der Testator beabsichtigt hat, so ist es dennoch zu vollziehen, soweit der wahre Wille ermittelt werden kann."
Rz. 97
Die Behandlung von Vermächtnissen ist in ÄB 11:2 geregelt. Zunächst ist zu klären, ob eine Person "universeller Testamentserbe" (Alleinerbe) ist oder nur Vermächtnisnehmer (legatarie). Kapitel 11 § 10, Abs. 2 formuliert dazu: "Ein universeller Testamentsnehmer ist derjenige, den der Testator an Stelle eines gesetzlichen Erben in der Weise eingesetzt hat, dass er ihm den Nachlass in seiner Gesamtheit, einen bestimmten Teil des Nachlasses oder den Überrest desselben vermacht hat."
Den Vermächtnisnehmer definiert ÄB 11:10, Abs. 1: "Unter einem Vermächtnis ist ein besonderer im Testament gewährter Vorteil zu verstehen, wie etwa eine bestimmte Sache oder ein bestimmter Geldbetrag oder ein Nutzungsrecht an einem Vermögensgegenstand oder das Recht, davon Zinsen oder Erträge zu erhalten."
Im Einzelfall kann es im Rahmen einer Nachlassabwicklung bei der Abgrenzung zwischen universalem Testamentserben und Vermächtnisnehmer zu Auslegungsschwierigkeiten kommen, beispielsweise wenn ein Erblasser testamentarisch verfügt hat, dass das in Schweden belegene Vermögen einer gewissen Person zufallen soll und das im Ausland belegene Vermögen einer anderen Person.
Rz. 98
Ein Vermächtnis ist dem ungeteilten Nachlass zu entnehmen und nicht auf einen bestimmten Anteil anzurechnen (ÄB 11: 2). Das Vermächtnis ist somit dem ungeteilten Nachlass zu entnehmen, also bevor die Erben ihre Anteile erhalten. Dies gilt natürlich nicht, wenn z.B. in einem Testament angeordnet ist, dass der Erbe aus seinem Anteil an den Vermächtnisnehmer X die Summe Y auszahlen soll.
Rz. 99
Können nicht sämtliche Vermächtnisse erfüllt werden, so genießt das Vermächtnis eines bestimmten Vermögensgegenstandes den Vorzug vor anderen, im Übrigen hat jedoch eine Herabsetzung entsprechend dem Wert der Vermächtnisse zu erfolgen (ÄB 11:3).
Rz. 100
Betrifft eine Verfügung einen bestimmten Vermögensgegenstand und findet sich dieser nicht im Nachlass, so ist die Verfügung unwirksam (ÄB 11:4).
Rz. 101
Ist ein bestimmter Vermögensgegenstand, auf den sich eine Verfügung bezieht, mit einem Pfandrecht oder einem anderen Recht belastet, so ist der testamentarisch Bedachte nicht berechtigt, aus diesem Grunde einen Ersatz zu erhalten (ÄB 11:5).
Rz. 102
Stirbt ein testamentarisch Bedachter, ehe sein Recht entstanden ist, oder kann das Testament, soweit es ihn angeht, sonst wie nicht vollzogen werden, so treten seine Abkömmlinge an seine Stelle, sofern sie im Hinblick auf die gesetzliche Erbfolge nach dem Testator dazu berechtigt sind (ÄB 11:6).
Rz. 103
Ist der Kreis der Erbberechtigten nach Errichtung des Testaments erweitert worden, so wird man davon auszugehen haben, dass der Erblasser mit der neuen Gesetzgebung einverstanden ist. Wird der Kreis der Erbberechtigten durch eine neue Gesetzgebung eingeschränkt, so gilt dieser Grundsatz nicht.