Rz. 75

Die verwandten Angehörigen des Erblassers werden aufgrund ihrer unterschiedlichen verwandtschaftlichen Nähe zum Erblasser durch das Parentelensystem in Gruppen (Parentelen)[90] zusammengefasst unter Schaffung einer Rangordnung sowohl zwischen den Parentelen als auch innerhalb derselben (Art. 457460 ZGB).

 

Rz. 76

Eine Parentel umfasst eine Person (Aszendent) mit allen ihren Nachkommen (Deszendenten). Die erste Parentel (Art. 457 ZGB) erfasst die Kinder des Erblassers und deren Nachkommen, während zur zweiten Parentel (Art. 458 ZGB) dessen Eltern und alle von ihnen – gemeinsam oder einzeln – abstammenden Personen gehören. Zur dritten und letzten Parentel (Art. 459 f. ZGB) zählen die Großeltern des Erblassers und alle von ihnen – gemeinsam oder einzeln – abstammenden Personen.

 

Rz. 77

Für das Verhältnis zwischen den drei Parentelen gilt ausnahmslos der Grundsatz, dass eine nachfolgende Parentel nur dann zum Zug kommt, wenn sämtliche Angehörigen der vorangehenden Parentel als Erben ausscheiden.[91] Die Erbberechtigung innerhalb einer Parentel wird durch verschiedene Prinzipien bestimmt:[92]

Der Aszendent geht in jeder Parentel den übrigen Angehörigen vor.
Fällt ein Erbe aus,[93] rücken dessen Kinder nach und treten an seine Stelle (Eintrittsprinzip).[94]
Sind keine Nachkommen des ausgefallenen Erben vorhanden, wächst der Anteil des ausgefallenen Erben seinen gleichstufigen Miterben anteilsmäßig an (Anwachsungsprinzip).[95]
Hinterlässt der Erblasser keine Nachkommen, zerfällt die Erbschaft in zwei Hälften, die der Vater- bzw. der Mutterseite zugewiesen werden (Gleichheit der väterlichen und der mütterlichen Linie, Linienteilung).[96]
Geschwister und weitere Seitenverwandte untereinander erben schließlich immer zu gleichen Teilen (Gleichheitsprinzip).
[90] Das Gesetz spricht von "Stamm" (vgl. z.B. Art. 458 Abs. 1 ZGB), meint damit aber auch eine Personengruppe innerhalb der Parentel mit gemeinsamen Vorfahren (siehe etwa Art. 458 Abs. 3 ZGB).
[91] Wolf/Genna, SPR IV/1, S. 115.
[92] Vgl. Staehelin, BSK-ZGB, Vorbemerkungen zu Art. 457–466 ZGB Rn 4.
[93] Zufolge Vorversterbens, Ausschlagung der Erbschaft (Art. 572 Abs. 1 ZGB), Enterbung (Art. 478 Abs. 2 ZGB) oder Erbunwürdigkeit (Art. 541 Abs. 2 ZGB); vgl. demgegenüber für den Erbverzicht Art. 495 Abs. 3 ZGB.
[94] Art. 457 Abs. 3 ZGB. Dieser Vorgang kann sich über mehrere Stufen fortsetzen.

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