Prof. Dr. Stephan Wolf, Bettina Spichiger
Rz. 34
Die vorhandenen Geldmittel müssen mit der räumlichen Trennung der Ehegatten auf zwei Haushaltungen verteilt werden. Dabei ist von der bisher gelebten Aufgabenteilung und den bestehenden Vereinbarungen der Ehegatten über die Unterhaltsbeiträge auszugehen, um eine Vorwegnahme der Scheidung mit einer grundlegenden Neuordnung der Verhältnisse so weit als möglich zu vermeiden. Mit der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts sind stets finanzielle Mehrbelastungen verbunden. Der Lebensbedarf der Familienmitglieder wird in der Praxis regelmäßig unter Zuhilfenahme der Richtlinien der oberen kantonalen Aufsichtsbehörden über die Betreibungsämter für die Berechnung des Existenzminimums in der Einkommenspfändung festgesetzt. Zusätzlich zu den in den Richtlinien vorgesehenen Pauschalen für die Grundbedürfnisse können individuelle Aufwendungen (z.B. Wohnung, Kosten für die Benutzung des öffentlichen Verkehrs) in die Bedarfsrechnung eingesetzt werden. Der so errechnete Bedarf beider Haushalte wird dem Gesamteinkommen der Ehegatten (Nettolohn inkl. 13. Monatslohn, Vermögenserträge) gegenübergestellt. Lassen sich die Kosten zweier Haushalte unter Beibehaltung der bisherigen Lebenshaltung mit dem Erwerbseinkommen der Ehegatten bestreiten, bleibt es bei der jetzigen Aufgabenteilung. Ein allfälliger Restbetrag ist vorbehaltlich eines bereits bisher vermögensbildenden Anteils zwischen den Ehegatten hälftig zu teilen. Reicht das bisherige Einkommen demgegenüber für die Führung zweier Haushalte bei gleicher Lebenshaltung nicht aus, sind allen Familienmitgliedern Einschränkungen bei der bisherigen Lebenshaltung und ggf. das Anzehren des Vermögens zumutbar. Bleibt das Existenzminimum aller Familienmitglieder dennoch ungedeckt, muss das in guten Treuen erzielbare Einkommen rechnerisch einbezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass die Aufnahme oder Erweiterung der Erwerbstätigkeit durch den bisher nicht oder bloß reduziert erwerbstätigen Ehegatten nur zurückhaltend anzunehmen ist. Eine neue Aufgabenteilung soll mit der Regelung der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts gem. Art. 176 Abs. 1 ZGB möglichst nicht präjudiziert werden. Ist allerdings nicht mit einer späteren Zusammenführung der Haushalte zu rechnen, sind für die Frage der Wiederaufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit eines Ehegatten die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien mit einzubeziehen. Bleiben die Existenzminima selbst unter Berücksichtigung eines hypothetischen Einkommens ungedeckt, wird der nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätige Ehegatte hinsichtlich des Mankos auf die Sozialhilfe verwiesen.
Rz. 35
Die Festsetzung des Unterhalts von (minderjährigen) Kindern richtet sich nach den Bestimmungen des Kindesrechts (Art. 276 ff. ZGB). Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und der Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen. Stehen dem Unterhaltspflichtigen Kinderzulagen, Renten aus Sozialversicherung und vergleichbare, für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen zu, sind diese grundsätzlich zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu bezahlen (vgl. Art. 285a ZGB). Für die Unterhaltsbemessung wird in der Praxis etwa auf die sog. Zürcher Tabelle abgestellt. Da diese Tabelle keinen Aufschluss über den Unterhaltsbedarf der Eltern gibt, muss die Existenzminimumberechnung (siehe Rdn 34) aber gleichwohl durchgeführt werden. Zur Rückkontrolle ist die Zürcher Tabelle aber in jedem Fall hilfreich. Dies gilt auch für die sog. Drittelsregel, wonach der Unterhaltsbeitrag je nach Kanton für ein Kind 15–17 %, für zwei Kinder 25–27 % und für drei Kinder 30–35 % vom Einkommen des Unterhaltsschuldners ausmacht. Gemäss dem am 1.1.2017 in Kraft getretenen Kindesunterhaltsrecht sollen dem Kind aus dem Zivilstand der Eltern keine Nachteile entstehen. Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes entsprechen (Art. 285 Abs. 1 ZGB) und er dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte (sog. Betreuungsunterhalt; Art. 285 Abs. 2 ZGB). Die Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kind geht grundsätzlich den anderen familienrechtlichen Unterhaltspflichten vor (Art. 276a ZGB).
Rz. 36
Lebt ein Ehegatte im Ausland, ist bei der Berechnung des Unterhaltsbeitrags das ggf. tiefere oder höhere Niveau der Lebenskosten zu berücksichtigen. Praxisgemäß wird eine Umrechnung anhand der statistisch erhobenen Verbrauchergeldparitäten bzw. aufgrund internationaler Kaufkraftvergleiche oder der Angaben des Bundesamtes für Statistik vorgenommen.
Rz. 37
Bei einer wesentlichen und dauerhaften Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, z.B. dem Wegzug eines Ehegatten ins Ausland mit entsprechend veränderten Lebenshaltungskosten oder im Falle unzutreffender Berechnungsgrundlagen, sind die Unterhaltsbeiträge neu festzusetzen (Art. 179 ZGB).