Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
Rz. 142
Beerben mehrere Erben den Erblasser, entsteht unter ihnen bis zur Erbteilung eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft (Art. 602 Abs. 1 ZGB). Die Erbengemeinschaft ist eine Gemeinschaft zur gesamten Hand i.S.d. Art. 652–654 ZGB. Die Miterben werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und können grundsätzlich nur gemeinsam über die Rechte der Erbschaft verfügen; vorbehalten bleiben vertragliche oder gesetzliche Verwaltungsbefugnisse (Art. 602 Abs. 2 ZGB). Jeder Miterbe hat das Recht, bei der zuständigen Behörde die Bestellung eines Erbenvertreters zu beantragen (Art. 602 Abs. 3 ZGB). Anders als auf der Aktivseite, wo das Gesamthandsprinzip gilt, findet sich auf der Passivseite das Solidaritätsprinzip: Für die Schulden des Erblassers werden die Erben persönlich (Art. 560 Abs. 2 ZGB) und solidarisch haftbar (Art. 603 Abs. 1 ZGB).
Rz. 143
Jeder Miterbe hat hinsichtlich der Erbschaft einen Teilungsanspruch, der zu grundsätzlich beliebiger Zeit geltend gemacht werden kann (Art. 604 Abs. 1 ZGB).
Rz. 144
Für die Vorbereitung und Durchführung der erbrechtlichen Auseinandersetzung gelten die Grundsätze der freien Erbteilung (vgl. Art. 607 Abs. 2 ZGB) und der Gleichberechtigung der Erben (Art. 610 ZGB). Der für alle Erben gleiche Anspruch auf die Erbschaftsgegenstände (Art. 610 Abs. 1 ZGB) richtet sich auf die Zuteilung von Nachlassobjekten in natura. Die Grundsätze der Gleichberechtigung und Zuteilung in natura werden allerdings durch verschiedene Bestimmungen des ZGB selbst, des BGBB und der kantonalen Einführungsgesetze durchbrochen. Der Erblasser kann sodann seinerseits mittels einer Verfügung von Todes wegen Teilungsvorschriften aufstellen (Art. 608 Abs. 1 ZGB). Jeder Erbe, der an der Einhaltung einer erblasserischen Teilungsvorschrift ein berechtigtes Interesse hat, kann deren Durchsetzung gegenüber den anderen Erben verlangen. Die Erben sind allerdings bei Einstimmigkeit frei, die Teilung in Abweichung von den Vorschriften des Erblassers vorzunehmen. Nach der praktisch bedeutsamen Vermutung des Art. 608 Abs. 3 ZGB gilt die Zuweisung einer Erbschaftssache an einen Erben als Teilungsvorschrift und nicht als (Voraus-)Vermächtnis, sofern kein anderer Wille des Erblassers aus der Verfügung ersichtlich ist. Die Übernahme der Erbschaftssache durch den berechtigten Erben hat mithin auf Anrechnung an seine Erbquote zu erfolgen.
Rz. 145
Im Rahmen der erbrechtlichen Auseinandersetzung sind unter bestimmten Voraussetzungen auch lebzeitige Zuwendungen zu berücksichtigen. Diesbezüglich bezweckt die Ausgleichung (Art. 626 ff. ZGB) die Gleichbehandlung der Nachkommen: Der Erbe hat sich dafür den zu Lebzeiten des Erblassers bezogenen "Vorempfang" auf seinen Erbteil anrechnen zu lassen (vgl. Art. 626 Abs. 1 ZGB). Lebzeitige Zuwendungen können auch der Herabsetzung unterliegen (Art. 475 und 527 f. ZGB). Diese dient der Herstellung des Pflichtteilsrechts.
Rz. 146
Der Abschluss der Erbteilung erfolgt regelmäßig auf dem Wege des schriftlichen Teilungsvertrages (Art. 634 Abs. 1 und 2 ZGB). Der Teilungsvertrag erzeugt die obligatorische Verpflichtung, die zum Vollzug der Teilung erforderlichen Handlungen – wie Eintragung im Grundbuch, Übergabe beweglicher Sachen usw. – nachfolgen zu lassen. Erst mit der Vornahme der entsprechenden Verfügungsgeschäfte durch die Erben wird das bisherige Gesamteigentum zu Individualeigentum. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit der Teilung durch "Aufstellung und Entgegennahme der Lose" (Art. 634 Abs. 1 ZGB). Bei dieser in der Praxis seltenen sog. Realteilung fallen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft zusammen. Bindungswirkung tritt hier erst mit tatsächlichem Vollzug der Teilung durch Vornahme der Verfügungsgeschäfte ein. Die Erbteilung kann eine vollständige oder eine partielle sein.
Rz. 147
Der einzelne Miterbe kann auch Verfügungen über seinen Erbanteil treffen (Art. 635 ZGB), d.h. er kann seinen Erbanteil veräußern. Die Abtretung des Erbanteils bedarf der Schriftform (Art. 635 Abs. 1 ZGB). Zu unterscheiden sind dabei die Abtretung des Erbanteils an einen Miterben und diejenige an einen Dritten. Die Abtretung des Erbanteils an einen Dritten gibt diesem kein Recht auf Mitwirkung bei der Teilung, sondern nur einen Anspruch auf den Anteil, der dem Erben aus der Teilung zugewiesen wird (Art. 635 Abs. 2 ZGB). Der Erwerber erlangt diesfalls keinen erbrechtlichen, sondern einen bloß schuldrechtlichen Anspruch gegen den mit ihm kontrahierenden Erben. Demgegenüber kann die Abtretung an einen Miterben nicht nur auf obligatorischer Basis, sondern auch mit erbrechtlich-dinglicher Wirkung erfolgen. Gegenstand einer Abtretung des Erbanteils unter Miterben kann mithin das gesamte Erbrecht bilden, so dass der Zedent zugunsten des Zessionar-Miterben aus der Erbengemeinschaft ausscheidet.
Rz. 148
Auch nach erfolgtem Abschluss der Erbteilung bleiben die Miterben in verschiedener Hinsicht weiter miteinander verbunden. So...