Prof. Dr. Stephan Wolf, Bettina Spichiger
Rz. 158
Zwischen der Mutter und dem Kind entsteht das Kindesverhältnis mit der Geburt (Art. 252 Abs. 1 ZGB). Das ZGB folgt damit dem Grundsatz "mater semper certa est", welcher allerdings mit den neuen Techniken der Fortpflanzungsmedizin keine absolute Geltung mehr beanspruchen kann. Die Ei- und Embryonenspende sowie alle Arten von Leihmutterschaft sind zwar in der Schweiz ausdrücklich verboten (Art. 119 Abs. 2 lit. d BV; Art. 4 FMedG); angesichts ihrer Zulässigkeit in anderen Staaten wird es in der Rechtswirklichkeit aber gleichwohl zu faktisch gespaltenen Mutterschaften kommen. Indem das ZGB am vorerwähnten Grundsatz festhält und zudem keine Anfechtung der Mutterschaft kennt, wird aber auch in solchen Fällen zumindest eine rechtliche Spaltung der Mutterschaft verhindert.
Rz. 159
Das Kindesverhältnis zum Vater wird kraft der Ehe mit der Mutter begründet, sofern die Eltern miteinander verheiratet sind; andernfalls muss das Kind anerkannt oder die Vaterschaft gerichtlich festgestellt werden (Art. 252 Abs. 2 ZGB).
Rz. 160
Die Vaterschaftsvermutung mit Blick auf den mit der Mutter verheirateten Mann wird in Art. 255 ZGB in mehrfacher Hinsicht präzisiert. Demnach genügt die Geburt des Kindes während bestehender Ehe; mithin sind weder das Zusammenleben der Ehegatten noch die Zeugung während der Ehe vorausgesetzt. Der vorverstorbene bzw. für verschollen erklärte Ehemann gilt als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod oder nach dem Zeitpunkt der Todesgefahr bzw. der letzten Nachricht geboren oder gezeugt wurde. Treffen zwei Vermutungen insofern zusammen, als das Kind nach einer weiteren Eheschließung der Mutter, aber vor Ablauf von 300 Tagen seit der Auflösung der Ehe durch Tod, geboren wurde, gilt der zweite Ehemann als Vater (Art. 257 ZGB).
Rz. 161
Die Vermutung der Vaterschaft kann nur durch Anfechtung beseitigt werden (vgl. Art. 256 ff. ZGB). Zur Anfechtung legitimiert sind grundsätzlich der Ehemann sowie unter der Voraussetzung, dass der gemeinsame Haushalt der Eltern während seiner Minderjährigkeit aufgehoben wurde, das Kind (Art. 256 Abs. 1 ZGB). Für den Vater gilt eine einjährige relative Verwirkungsfrist seit Kenntnis der Geburt sowie der Tatsache, dass er nicht der Vater ist bzw. ein Dritter der Mutter um die Zeit der Empfängnis beigewohnt hat. Die absolute Verwirkungsfrist beträgt fünf Jahre seit der Geburt (Art. 256c Abs. 1 ZGB). Die Klage des Kindes muss spätestens ein Jahr nach Eintritt der Volljährigkeit eingereicht werden (Art. 256c Abs. 2 ZGB). Aus wichtigen Gründen ist eine Wiederherstellung sämtlicher Fristen möglich (Art. 256c Abs. 3 ZGB).
Rz. 162
Sofern zu keinem anderen Mann ein Kindesverhältnis besteht, kann der Vater das Kind anerkennen (Art. 260 Abs. 1 ZGB). Die Anerkennung ist demnach ausgeschlossen, wenn die Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes greift, eine Anerkennung bereits stattgefunden hat oder ein Vaterschaftsurteil ergangen ist. Sie erfolgt durch Erklärung vor dem Zivilstandsbeamten, durch letztwillige Verfügung oder im Falle einer hängigen Vaterschaftsklage vor Gericht (Art. 260 Abs. 3 ZGB) und ist auch vor der Geburt oder nach dem Tod des Kindes möglich. Durch die Anerkennung wird das Kindesverhältnis rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt begründet. Zur Anfechtung der Anerkennung vgl. Art. 260a ff. ZGB.
Rz. 163
Die Mutter und das Kind können, gestützt auf Art. 261 ZGB, zusammen oder unabhängig voneinander Vaterschaftsklage erheben. Das Klagerecht des Kindes ist höchstpersönlicher Natur und wird daher von ihm selbst ausgeübt, sofern es urteilsfähig ist. Das urteilsunfähige wird vom Beistand nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB oder vom Vormund vertreten. Eine Vertretung durch die Mutter als Inhaberin der elterlichen Sorge scheidet aus, wenn ein konkreter Interessenskonflikt vorliegt (Art. 306 Abs. 3 ZGB). Passivlegitimiert ist grundsätzlich der angebliche Vater (vgl. Art. 261 Abs. 2 ZGB). Unter den in Art. 262 Abs. 1 und 2 ZGB verankerten Voraussetzungen wird die Vaterschaft des Beklagten vermutet. Diesem steht gem. Art. 262 Abs. 3 ZGB der Nachweis offen, dass seine Vaterschaft ausgeschlossen oder weniger wahrscheinlich ist als die eines Dritten. Selbstverständlich kann auch durch die Klägerpartei ein direkter Vaterschaftsbeweis mittels naturwissenschaftlicher Gutachten geführt werden. Die Gutheißung der Klage führt rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt zur Begründung des Kindesverhältnisses.