Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
1. Allgemeines
Rz. 76
Die gesetzliche Erbfolge greift immer dann ein, wenn der Erblasser keine wirksame Verfügung von Todes wegen getroffen hat oder diese nur einen Teil des Nachlasses betrifft. Die gesetzliche Erbfolge ist damit dispositiver und subsidiärer Natur.
Rz. 77
Die gesetzliche Erbfolge wird durch formelle familienrechtliche Beziehungen bestimmt. Dies hat die praktisch bedeutsame Folge, dass namentlich der faktische Lebenspartner nicht die Stellung eines gesetzlichen Erben einnimmt, sondern auf die gewillkürte Erbfolge verwiesen ist.
2. Parentelensystem (Verwandtenerbrecht)
Rz. 78
Die verwandten Angehörigen des Erblassers werden aufgrund ihrer unterschiedlichen verwandtschaftlichen Nähe zum Erblasser durch das Parentelensystem in Gruppen (Parentelen) zusammengefasst unter Schaffung einer Rangordnung sowohl zwischen den Parentelen als auch innerhalb derselben (Art. 457–460 ZGB).
Rz. 79
Eine Parentel umfasst eine Person (Aszendent) mit allen ihren Nachkommen (Deszendenten). Die erste Parentel (Art. 457 ZGB) erfasst den Erblasser mit seinen Kindern und deren Nachkommen, während zur zweiten Parentel (Art. 458 ZGB) dessen Eltern und alle von ihnen – gemeinsam oder einzeln – abstammenden Personen gehören. Zur dritten und letzten Parentel (Art. 459 f. ZGB) zählen die Großeltern des Erblassers und alle von ihnen – gemeinsam oder einzeln – abstammenden Personen.
Rz. 80
Für das Verhältnis zwischen den drei Parentelen gilt ausnahmslos der Grundsatz, dass eine nachfolgende Parentel nur dann zum Zug kommt, wenn sämtliche Angehörigen der vorangehenden Parentel als Erben ausscheiden. Die Erbberechtigung innerhalb einer Parentel wird durch verschiedene Prinzipien bestimmt:
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Der Aszendent geht in jeder Parentel den übrigen Angehörigen vor. |
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Fällt ein Erbe aus, rücken dessen Kinder nach und treten an seine Stelle (Eintrittsprinzip). |
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Sind keine Nachkommen des ausgefallenen Erben vorhanden, wächst der Anteil des ausgefallenen Erben seinen gleichstufigen Miterben anteilsmäßig an (Anwachsungsprinzip). |
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Hinterlässt der Erblasser keine Nachkommen, zerfällt die Erbschaft in zwei Hälften, die der Vater- bzw. der Mutterseite zugewiesen werden (Gleichheit der väterlichen und der mütterlichen Linie, Linienteilung). |
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Geschwister und weitere Seitenverwandte untereinander erben schließlich immer zu gleichen Teilen (Gleichheitsprinzip). |
3. Ehegatte bzw. eingetragener Partner
Rz. 81
Der überlebende Ehegatte und der überlebende eingetragene Partner stehen als nicht verwandte Angehörige des Erblassers außerhalb des Parentelensystems. Sie sind neben den Parentelen und damit zusätzlich erbberechtigt (Art. 462 ZGB). Der Erbanteil des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners ist davon abhängig, welche Parentel konkurrierend mit ihm erbberechtigt ist. Die ihm zustehende Quote umfasst die Hälfte des Nachlasses, wenn er mit Angehörigen der ersten Parentel zu teilen hat (Art. 462 Ziff. 1 ZGB), und erhöht sich auf ¾ des Nachlasses, wenn sie in Konkurrenz zu Personen der zweiten Parentel stehen (Art. 462 Ziff. 2 ZGB). Gegenüber Angehörigen der dritten Parentel setzt sich der Erbanspruch des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners vollumfänglich durch (Art. 462 Ziff. 3 ZGB).