Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
Rz. 48
Ausländische Entscheidungen, Maßnahmen und Urkunden werden in der Schweiz grundsätzlich dann anerkannt (Art. 96 Abs. 1 nIPRG), wenn sie im Staat des letzten Wohnsitzes des Erblassers getroffen, ausgestellt oder festgestellt worden sind oder dort anerkannt werden (lit. a); oder wenn sie in einem Heimatstaat des Erblassers getroffen, ausgestellt oder festgestellt worden sind und der Erblasser seinen Nachlass der Zuständigkeit oder dem Recht des betreffenden Staates unterstellt hat (lit. c); oder wenn sie im Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts oder einem Heimatstaat des Erblassers oder bei einzelnen beweglichen Nachlasswerten im Lagestaat getroffen, ausgestellt oder festgestellt worden sind, soweit sich der letzte Wohnsitz des Erblassers im Ausland befand und der betreffende Staat sich nicht mit dem Nachlass befasst (lit. d). In Bezug auf Grundstücke werden ausländische Entscheidungen, Maßnahmen und Urkunden in der Schweiz zudem auch anerkannt, wenn sie in dem Staat, in welchem das Grundstück liegt, getroffen, ausgestellt oder festgestellt worden sind oder wenn sie dort anerkannt werden (Art. 96 Abs. 1 lit. b IPRG, unverändert). Ferner müssen in jedem Fall die allgemeinen Anerkennungsvoraussetzungen der Art. 25–27 IPRG erfüllt sein. Dies bedeutet, dass eine ausländische Entscheidung in der Schweiz nur dann anerkannt wird, wenn kein Verweigerungsgrund vorliegt (Art. 25 lit. c IPRG). Die Verweigerungsgründe sind in Art. 27 IPRG aufgelistet. Eine im Ausland ergangene Entscheidung wird in der Schweiz u.a. dann nicht anerkannt, wenn die Anerkennung mit dem schweizerischen ordre public offensichtlich unvereinbar wäre (Art. 27 Abs. 1 IPRG).
Im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland ist sodann das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 2. November 1929 zu beachten. Als Staatsvertrag geht dieses Art. 96 IPRG grundsätzlich vor, soweit das Abkommen einschlägig ist.
Rz. 49
Soll das in der Schweiz belegene Vermögen eines im Ausland domizilierten Erblassers auf die Erben übertragen werden, stellt sich regelmäßig die Frage, welche Belege beizubringen sind und ob ein im Wohnsitzstaat ausgestellter Erbschein in der Schweiz anerkannt wird. Ausländische Erbfolgezeugnisse bzw. Erbenbescheinigungen werden in der Schweiz grundsätzlich anerkannt, wenn die soeben dargelegten Voraussetzungen von Art. 96 nIPRG sowie die allgemeinen Anerkennungsvoraussetzungen von Art. 25–27 IPRG erfüllt sind. Zusätzlich muss die ausländische Urkunde einem schweizerischen Erbenschein i.S.v. Art. 559 ZGB im Wesentlichen gleichwertig sein (Äquivalenz). Ob es sich dabei um eine nationale Urkunde (z.B. einen deutschen Erbschein) oder eine internationale Urkunde (z.B. ein Europäisches Nachlasszeugnis) handelt, spielt keine Rolle.
Rz. 50
Ein deutscher Erbschein wird in der Schweiz unter den oben erwähnten Voraussetzungen als Ausweis grundsätzlich anerkannt, sofern er gegenständlich nicht auf in Deutschland belegene Nachlassobjekte beschränkt ist.
Rz. 51
Von den Schweizer Banken werden die ausländischen Erbscheine i.d.R. ohne formelles Exequaturverfahren akzeptiert. Gleiches gilt in Bezug auf die Übertragung von in der Schweiz gelegenen Grundstücken. Diesbezüglich hat das Bundesamt für Justiz Regeln ausgearbeitet, welche für jedes Land konkret festhalten, welche Ausweise als mit der Schweizer Erbenbescheinigung gleichwertig gelten und folglich ausreichend sind, um die Übertragung des Grundstücks in der Schweiz zu veranlassen.
Rz. 52
Fehlt es an einer ausländischen Urkunde, die in der Schweiz anerkannt werden kann, so ist grundsätzlich ein schweizerisches Eröffnungsverfahren einzuleiten. Bei einem Erblasser mit letztem Wohnsitz im Ausland ergibt sich die internationale Zuständigkeit der schweizerischen Behörden dabei
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aus Art. 87 Abs. 1 nIPRG (Behörden am schweizerischen Heimatort), wenn es um einen Schweizer Bürger mit letztem Wohnsitz im Ausland geht, bzw. |
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aus Art. 88 IPRG (Behörden am Lageort), wenn es sich um einen Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland handelt und sich die ausländischen Behörden des Wohnsitzstaates mit dem in der Schweiz belegenen Nachlassvermögen nicht befassen. |
Besteht weder nach Art. 87 noch nach Art. 88 nIPRG eine Zuständigkeit in der Schweiz, so kann sich ausnahmsweise eine Notzuständigkeit gestützt auf Art. 3 IPRG (unverändert) ergeben, wenn ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder zumutbar ist. Zuständig sind diesfalls die Gerichte oder Behörden am Ort, mit dem der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang aufweist; das dürfte regelmäßig der Lageort sein.