Prof. Dr. Stephan Wolf, Bettina Spichiger
Rz. 93
Für die Durchführung der Scheidung ist das Gericht am Wohnsitz des einen oder anderen Ehegatten zwingend örtlich zuständig (Art. 23 Abs. 1 ZPO). Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit richtet sich nach kantonalem Recht (Art. 4 Abs. 1 ZPO).
Rz. 94
Je nachdem, ob sich die Ehegatten über die Scheidung einig sind oder nicht, stehen ihnen zwei Wege offen: die Scheidung auf gemeinsames Begehren (Art. 111 f. ZGB; Art. 285–289 ZPO) oder die Scheidungsklage (Art. 114 f. ZGB; Art. 290–293 ZPO). Eingeleitet wird der Scheidungsprozess direkt beim Scheidungsgericht durch gemeinsames Begehren (Art. 285 f. ZPO) oder durch Scheidungsklage (Art. 290 und Art. 274 ZPO). Mit diesen Prozesshandlungen tritt Rechtshängigkeit ein (Art. 274 und Art. 62 Abs. 1 ZPO). Weder bei der Scheidung auf gemeinsames Begehren noch bei der Scheidungsklage wird ein vorgängiger Schlichtungsversuch bei einer Schlichtungsbehörde durchgeführt (Art. 198 lit. c ZPO). Einigungsverhandlungen finden direkt vor dem Scheidungsgericht statt.
Rz. 95
Mit Eintritt der Rechtshängigkeit kann das Gericht auf Antrag einer Partei alle nötigen vorsorglichen Maßnahmen anordnen (Art. 276 ZPO). Inhaltlich beziehen sich die vorsorglichen Maßnahmen auf die Lebensbedingungen der Ehegatten und Kinder. Einen numerus clausus der Maßnahmen gibt es nicht. Geregelt werden kann alles, was nötig ist (vgl. den Wortlaut von Art. 276 Abs. 1 ZPO). Örtlich zuständig ist das Gericht am Wohnsitz eines Ehegatten (Art. 23 Abs. 1 ZPO). Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit richtet sich nach kantonalem Recht (Art. 4 Abs. 1 ZPO). Angeordnet werden die Maßnahmen im summarischen Verfahren (Art. 248 lit. d ZPO).
Rz. 96
Auch im Scheidungsverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 157 ZPO). Für die güterrechtliche Auseinandersetzung und für den nachehelichen Unterhalt ist der Verhandlungsgrundsatz (Art. 277 Abs. 1 ZPO) massgebend. Im Übrigen stellt das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen fest (Art. 277 Abs. 3 ZPO). Mit Blick auf die Kindesbelange gilt uneingeschränkt die Untersuchungs- und Offizialmaxime (Art. 296 Abs. 1 ZPO). Sind Anordnungen über ein Kind zu treffen, so hört das Gericht die Eltern vorher persönlich an (Art. 297 Abs. 1 ZPO). Das Gericht kann die Eltern auffordern, an einem Mediationsversuch teilzunehmen (Art. 297 Abs. 2 ZPO). Auch das Kind ist grundsätzlich anzuhören (Art. 298 ZPO). Das Gericht kann eine Vertretung des Kindes anordnen (Art. 299 Abs. 1 und 2 ZPO) bzw. muss dies auf Antrag des urteilsfähigen Kindes tun (Art. 299 Abs. 3 ZPO).
Rz. 97
Hinsichtlich der Kosten des Scheidungsverfahrens lassen sich keine allgemein gültigen Angaben machen. Begrifflich wird generell zwischen Prozesskosten, Gerichtskosten und der Parteientschädigung unterschieden (Art. 95 ZPO). Für die Festsetzung der Gerichtskosten gilt grundsätzlich ein Pauschalsystem (Art. 95 Abs. 2 ZPO). Die Tarife für die Prozesskosten können die Kantone festsetzen (Art. 96 ZPO). Damit soll den unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Kantonen Rechnung getragen werden. Bei den Anwaltskosten erlassen die Kantone ebenfalls Tarife, soweit sie Gegenstand der Parteientschädigungen sind.
Rz. 98
Die Verfahrensdauer variiert mit Blick auf die unterschiedliche Komplexität der Fälle und die unterschiedliche Auslastung der Gerichte, welche mehrmonatige Wartezeiten für die Terminansetzung zur Folge haben kann. Letzteres führt dazu, dass die Verfahrensdauer auch bei Scheidungen gestützt auf Art. 111 ZGB nicht verlässlich angegeben werden kann.
Rz. 99
In der Schweiz besteht im praktischen Ergebnis – und für die im Zusammenhang mit dem Eherecht interessierenden Verfahren generell – kein Anwaltszwang für das Auftreten vor Gericht und Behörden. Jede Partei kann grundsätzlich einen beliebigen, gewillkürten Parteivertreter bestellen (Art. 68 Abs. 1 ZPO). Für die Vertretung vor Gericht besteht folglich kein Anwaltsmonopol. Dagegen ist die berufsmäßige Vertretung bestimmten, qualifizierten Personen vorbehalten (Art. 68 Abs. 2 ZPO). Auch wenn sich die Parteien im Prozess vertreten lassen, so haben sie im Scheidungsverfahren – sofern sie nicht dispensiert werden – persönlich zu erscheinen (Art. 278 ZPO). Wird die Ehe einvernehmlich geschieden, sind die Parteien persönlich anzuhören (Art. 111 Abs. 1 und Art. 112 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 287 ZPO) und im streitigen Verfahren wird anstelle eines vorangehenden Schlichtungsverfahrens (Art. 198 lit. c ZPO) u.U. direkt im Scheidungsprozess eine Einigungsverhandlung mit den Parteien durchgeführt.
Rz. 100
Gemäß Art. 21 BGFA können Anwälte aus den Mitgliedstaaten der EU und der EFTA im freien Dienstleistungsverkehr in der Schweiz Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten, sofern sie zur Ausübung des Anwaltsberufs in ihrem Herkunftsstaat berechtigt sind. Die Eintragung in ein kantonales Anwaltsregister ist nicht erforderlich. Will der ausländische Anwalt "ständig" Parteien vor Gerichtsbehörden vertre...