Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
1. Deutscher Erblasser mit letztem Wohnsitz und letztem gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz
a) Aus Sicht der Schweiz
Rz. 53
Stirbt ein Deutscher Erblasser mit letztem Wohnsitz in der Schweiz, so sind gem. Art. 86 Abs. 1 IPRG grundsätzlich die Schweizer Gerichte und Behörden für die Behandlung des gesamten, weltweiten Nachlasses zuständig. Ein Vorbehalt gilt für im Ausland gelegene Grundstücke, falls der ausländische Staat die ausschließliche Zuständigkeit für diese beansprucht (Art. 86 Abs. 2 IPRG). Die Zuständigkeit nach Art. 86–88 nIPRG ist jedoch grundsätzlich ausgeschlossen, soweit ein Erblasser durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag eine Rechtwahl zugunsten des deutschen Heimatrechts getroffen hat und seinen Nachlass gleichzeitig ganz oder teilweise der Zuständigkeit eines ausländischen Heimatstaates unterstellt hat und dessen Behörden sich mit den betreffenden Nachlasswerten befassen (Art. 88b Abs. 1 nIPRG). Zu beachten ist, dass unter der EuErbVO keine Zuständigkeitswahl durch den Erblasser vorgesehen ist. Entsprechend ist nicht vollständig klar, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Deutschland unter Geltung der EuErbVO eine Wahl der deutschen Zuständigkeit annehmen würde. Ebenfalls unklar ist, ob Deutschland gestützt auf Art. 10 EuErbVO gegenüber Drittstaaten eine ausschließliche Zuständigkeit für Vermögenswerte in Deutschland beansprucht.
Rz. 54
Der gesamte Nachlass untersteht sodann grundsätzlich Schweizer Erbrecht (Art. 90 Abs. 1 IPRG). Ein Deutscher kann jedoch mittels Testaments oder Erbvertrag eine Rechtswahl zugunsten seines deutschen Heimatrechts treffen (Art. 91 Abs. 1 nIPRG). Gemäß revidiertem IPRG können neu auch deutsch-schweizerische Doppelbürger eine solche Rechtswahl zugunsten des ausländischen Heimatrechts treffen (Art. 91 Abs. 1 nIPRG). Dies jedoch unter der Einschränkung, dass sie die Bestimmungen des schweizerischen Rechts über die Verfügungsfreiheit nicht abbedingen können (Art. 91 Abs. 1 Satz 3 nIPRG; vgl. Rdn 24). Die entsprechende Staatsangehörigkeit muss entweder im Verfügungszeitpunkt oder im Zeitpunkt des Todes der verfügenden Person gegeben sein (Art. 91 Abs. 1 Satz 2 nIPRG).
Rz. 55
Zu berücksichtigen ist, dass in Deutschland ergangene Entscheide (vorbehaltlich sichernder Maßnahmen) in vorliegender Konstellation in der Schweiz grundsätzlich nur dann anerkannt und vollstreckt werden können, wenn der Erblasser seinen Nachlass der deutschen Zuständigkeit oder dem deutschen Recht unterstellt hatte oder soweit sie Grundstücke in Deutschland betreffen (Art. 96 Abs. 1 lit. b nIPRG).
b) Aus deutscher Sicht
Rz. 56
Aus deutscher Perspektive bestimmen sich die Fragen der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts grundsätzlich nach der EuErbVO.
Rz. 57
Unter der EuErbVO hängt die Zuständigkeit Deutschlands insbesondere davon ab, ob der Erblasser Vermögenswerte in Deutschland hinterlässt oder nicht. Befindet sich Nachlassvermögen in Deutschland, so erachten sich die deutschen Behörden und Gerichte gestützt auf die EuErbVO grundsätzlich für den gesamten, weltweiten Nachlass eines deutschen Erblassers zuständig, und zwar ungeachtet dessen, dass der Erblasser seinen Wohnsitz und letzten gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hatte (Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO). Daraus resultiert bei einem deutschen Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz in der Schweiz und Vermögenswerten in Deutschland ein positiver Kompetenzkonflikt, weil sich sowohl die deutschen als auch die Schweizer Behörden für die Behandlung des gesamten Nachlasses zuständig erachten. Eine Milderung dieser Problematik lässt sich allenfalls über Art. 12 Abs. 1 EuErbVO erreichen, wonach das deutsche zuständige Gericht in der Schweiz gelegene Vermögenswerte vom Verfahren ausnehmen kann, wenn zu erwarten ist, dass seine Entscheidung in Bezug auf die entsprechenden Ver...