Prof. Dr. Stephan Wolf, Andrea Dorjee-Good
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Hinweis:
Die an der 1. und 2. Auflage beteiligte Autorin Dr. Isabelle Berger-Steiner, Rechtsanwältin, hat auf eine Mitwirkung ab der 3. Auflage verzichtet.
A. Internationales Privatrecht (IPR)
I. Zuständigkeit und Erbstatut aus Sicht der Schweiz
1. Einleitung
Rz. 1
Die Schweiz ist nicht Mitglied der Europäischen Union und gehört entsprechend auch nicht zu den Mitgliedstaaten der EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO). Fragen hinsichtlich der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in grenzüberschreitenden Erbfällen bestimmen sich aus Schweizer Perspektive deshalb sowohl gegenüber Mitgliedstaaten der EuErbVO als auch gegenüber Drittstaaten nach den Bestimmungen des schweizerischen Internationalen Privatrechts. Gleiches gilt in Bezug auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Ausland ergangene erbrechtliche Entscheide, Maßnahmen und Urkunden in der Schweiz anerkannt werden. Maßgebend sind das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) sowie allfällige völkerrechtliche Verträge, welche den Bestimmungen des IPRG vorgehen.
Rz. 2
Da die Bestimmungen der EuErbVO auch im Verhältnis zu Drittstaaten Geltung beanspruchen, bleibt die Schweiz von der Verordnung aber nicht gänzlich unberührt.
Rz. 3
Erinnert sei sodann daran, dass bestehende Staatsverträge zwischen Mitgliedstaaten der EuErbVO und der Schweiz jeweils vorab zu prüfen sind, da solche Verträge den Bestimmungen der EuErbVO gem. Art. 75 EuErbVO vorgehen.
Rz. 4
Die Struktur der EuErbVO deckt sich in den Grundzügen weitgehend mit den Ansätzen des IPRG. In einigen Punkten bestehen aber wesentliche Unterschiede, so etwa betreffend die Rechtswahlmöglichkeiten und die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Rechtswahl sowie in Bezug auf die Bestimmung des auf Verfügungen von Todes wegen anwendbaren Rechts.
Rz. 5
Derzeit laufen in der Schweiz Bestrebungen, das schweizerische Internationale Erbrecht (Art. 86–96 IPRG) zumindest teilweise an die EuErbVO anzugleichen. Die geplante Gesetzesrevision ist noch im Gange; derzeit ist unklar, ob und wann mit dem Inkrafttreten der revidierten IPRG-Bestimmung gerechnet werden kann. Die Botschaft zum revidierten Gesetzesentwurf soll voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2019 veröffentlicht werden.
Rz. 6
Die Schweiz hat einige Staatsverträge abgeschlossen, welche im Bereich des internationalen Erbrechts relevant sind. Zu erwähnen sind die Staatsverträge mit
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Österreich (SR 0.142.111.631) |
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Italien (SR 0.142.114.541) |
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Großbritannien (SR 0.142.113.671) |
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Griechenland (SR 0.142.113.721) |
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Persien (SR 0.142.114.362) |
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Portugal (SR 0.191.116.541) |
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Rumänien (SR 0.191.116.631) |
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USA (SR 0.142.113.361). |
Rz. 7
Zwischen der Schweiz und Deutschland bestehen auf dem Gebiet des Erbrechts grundsätzlich keine staatsvertraglichen Sonderbestimmungen, so dass auf deutsch-schweizerische Erbfälle aus schweizerischer Sicht die Kollisionsnormen des IPRG anwendbar sind, namentlich die Art. 86–96 IPRG.
2. Wohnsitz als zentrales Anknüpfungskriterium
a) Der Schweizer Wohnsitzbegriff
Rz. 8
Im schweizerischen internationalen Erbrecht bildet der letzte Wohnsitz des Erblassers das zentrale Anknüpfungselement. Der Wohnsitzbegriff bestimmt sich im internationalen Verhältnis nach Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG. Danach hat eine natürliche Person ihren Wohnsitz in dem Staat, in dem sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Maßgebend ist, wo eine Person aufgrund objektiv erkennbarer Umstände den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat. Nur subsidiär, falls der Erblasser nirgends einen Wohnsitz hat, tritt der gewöhnliche Aufenthalt a...