Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf Kostenübernahme für das Medikament Xarelto im Rahmen des Off-Label-Use
Orientierungssatz
1. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
2. Ist zur Behandlung der Krankheit einer Versicherten keine andere Therapie verfügbar, auf die sie nicht mit erheblichen Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen reagiert, erfüllt sie auch das zweite Ausnahmekriterium für einen Off-Label-Use von Xarelto® .
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit dem Medikament Xarelto® nach ärztlicher Verordnung zu versorgen. Die außergerichtlichen Kosten der Antragsstellerin trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) die vorläufige Übernahme/Erstattung der Kosten für das Medikament Xarelto®.
Die 0000 geborene Ast. leidet an zahlreichen - nach Auflistung ihrer behandelnden Ärzte an 45 - Gesundheitsstörungen, u.a. einer Thrombosenanfälligkeit nach wiederholten Thrombosen und Lungenembolien. Zuletzt im Oktober 2010 erlitt sie eine so genannte Drei-Etagen-Thrombose und eine Lungenembolie; sie wurde deshalb stationär im Krankenhaus behandelt.
Am 15.10.2010 beantragten die behandelnden Ärzte bei der Ag. die Versorgung der Ast. mit dem (neuen) Arzneimittel Xarelto® (Wirkstoff Rivaroxaban). Sie wiesen daraufhin, dass dieses Medikament zur Vorbeugung von Thromboembolien nach Hüft- und Kniegelenksersatz zugelassen sei und ein Einsatz bei der Ast. ein "off-label-use" sei. Da die Ast. an einem massiven Lendenwirbelsäulensyndrom leide und deswegen häufiger Injektionen erhalte, entfalle - so die Ärzte - die Durchführung einer Antikoagulation mit Marcumar®; andererseits bestehe die Notwendigkeit einer lebenslangen Antikoagulation, eine lebenslange Injektion von Heparin® sei jedoch nicht vorstellbar. Deshalb habe auch das Krankenhaus Heinsberg eine Therapie mit Xarelto® empfohlen.
Vom 17.10. bis 22.10.2010 befand sich die Ast. erneut zur stationären Behandlung im Krankenhaus I ... Im Arztbericht vom 22.10.2010 heißt es: "Da Frau L. die Einnahme von Marcumar bei regelmäßig erfolgenden tiefen, paravertebralen Injektionen aufgrund eines chronischen Lendenwirbelsäulensyndroms strikt ablehnt, wurde eine Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin durchgeführt. Frau L.bemüht sich um einen Termin zur stationären Facettendenervierung im St. Willibrord Spital Emmerich-Rees. Die Clexane-Injektionen sollten einen Tag vor dem Eingriff abgesetzt und am Folgetag des Eingriffs wieder aufgenommen werden. Danach kann auf Patientenwunsch eine dauerhafte Antikoagulation mit Xarelto erfolgen, welches eine kürzere Halbwertszeit als das Marcumar aufweist und daher in kürzeren Abständen an- und abgesetzt werden kann."
In einer von der Ag. eingeholten Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam Dr. T. am 02.11.2010 u.a. zum Ergebnis, Xarelto® sei zur Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen zugelassen, nicht jedoch zur Behandlung des bei der Ast. vorliegenden Krankheitsbildes einer Thrombophilie. Als vertragliche Therapiemaßnahmen stünden die Antikoagulation mit Marcumar® und Heparin® zur Verfügung.
Gestützt hierauf lehnte die Ag. den Antrag auf Übernahme der Kosten für das Medikament Xarelto® ab.
Dagegen erhob die Ast. am 22.11.2010 Widerspruch. Sie trug vor, Marcumar® sei für sie unverträglich. Das Medikament Xarelto® sei mit sehr guten Erfahrungen bereits seit geraumer Zeit in der Praxis im Einsatz; die Erprobungsphase III sei abgeschlossen; zur Zeit stehe nur noch die offizielle Zulassung offen, die in Kürze erwartet werde. Sie vertrage auch die Arzneimittel Clexane® und Arixtra® nicht. Im Übrigen liege auch bei Einsatz dieser Medikamente ein off-label-use vor.
In einem Arztbericht vom 01.02.2011 teilte der Chefarzt der Abteilung Innere Medizin des Krankenhaus I., Dr. N., mit, die Ast. habe unter Behandlung mit Clexane® zwischenzeitlich eine ausgeprägte Allergie entwickelt, sodass die Antikoagulation auf Arixtra® habe umgestellt werden müssen. Auch dieses Arzneimittel sei jedoch für eine dauerhafte Behandlung zur Vorbeugung einer thrombembolischen Erkrankung nicht zugelassen. Dr. L. empfahl daher die Behandlung mit Xarelto® (Rivaroxaban), auch wenn es sich hierbei im strengeren Sinne um einen Heilversuch (off-label-use) handele.
Auf eine daraufhin am 03.02.2011 erfolgte vertragsärztliche Verordnung von Xarelto® erteilte di...