Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung eines Arzneimittels unter dem Gesichtspunkt des off label use
Orientierungssatz
1. Voraussetzung der Versorgung des Versicherten mit einem Arzneimittel durch die Krankenkasse ist dessen vertragsärztliche Verordnung. Kostenerstattung nach § 13 SGB 5 ist nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen vorgesehen. Ist die vertragsärztliche Verordnung eines Arzneimittels zulässig, so steht einer solchen durch einen Vertragsarzt oder durch den Arzt eines zugelassenen Krankenhauses nichts im Wege.
2. Ist ein Fertigarzneimittel zur Behandlung eines bestimmten Krankheitsbildes nicht zugelassen, so bedarf dessen Verordnung einer besonderen Begründung. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung ist auf Fälle beschränkt, in denen ein unabweisbarer, anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneimitteltherapie besteht und die therapeutische Wirksamkeit der Behandlung hinreichend belegt ist. Sind die Voraussetzungen eines off label use erfüllt, so ist ein Arzneimittel auch zulassungsüberschreitend zu Lasten der Krankenversicherung verordnungsfähig. Hält der Vertragsarzt das Arzneimittel im konkreten Fall für verordnungsfähig, verschreibt er dieses aber gleichwohl nicht, etwa weil er einen Regress befürchtet, so ist es in einem solchen Fall weder Aufgabe der Krankenkasse noch des Gerichts, die Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zu übernehmen.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Übernahme der Kosten des Arzneimittels CellCept® (Wirkstoff: Mycophenolatmofetil), zumindest aber ab November 2011.
Die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin leidet an einer generalisierten Myasthenia gravis. Sie wurde deshalb wiederholt mit Corticosteroiden therapiert. Um eine dauerhafte Steroidtherapie und insbesondere eine höhere Steroiddosis zu vermeiden, erhielt die Klägerin eine immunsuppressive Behandlung mit Azathioprin; diese musste jedoch aufgrund einer schweren, bis zur Intensivpflichtigkeit führenden Pankreatitis beendet werden.
Erstmals Anfang 2010 beantragte die Ast. die Übernahme der Kosten für eine medikamentöse Therapie mit CellCept®. Nach Einholung einer - befürwortenden - Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erklärte sich die Ag. im Rahmen einer Einzelfallentscheidung bereit, die Kosten für die Therapie mit CellCept® befristet bis zum 30.09.2010 zu übernehmen.
Im Januar 2011 beantragte die Ast. die Fortsetzung der Therapie unter Vorlage eines Berichts der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikum Düsseldorf vom 20.12.2010. Darin wird ausgeführt, dass es unter der Behandlung mit Mycophenolatmofetil zu einer guten Rückbildung der myasthenen Symptomatik und einer Stabilisierung des Befundes gekommen sei.
Hierzu befragt erklärte der MDK in einer Stellungnahme vom 11.02.2011, die medizinischen Voraussetzungen für eine Behandlung der Ast. mit CellCept® zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung seien nicht erfüllt, weil die Voraussetzungen für einen Off-Label-Gebrauch dieses Arzneimittels nicht vorlägen.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Kostenübernahmeantrag durch Bescheid vom 15.03.2011 ab. Den dagegen am 05.04.2011 eingelegten Widerspruch wies sie - gestützt auf eine weitere MDK-Stellungnahme - durch Widerspruchsbescheid vom 20.09.2011 zurück.
Dagegen hat die Ast. am 19.10.2011 Klage erhoben (S 13 KR 297/11).
Ebenfalls am 19.10.2011 hat die Ast. um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Sie trägt vor, von ihrem Hausarzt auch "in den letzten Monaten" das Medikament auf Rezept erhalten zu haben; es sei stets von der Apotheke ausgegeben worden, ohne dass es irgendwelche Beanstandungen gegeben habe. Bei der letzten Verordnung habe der Hausarzt jedoch mitgeteilt, dass er das Medikament in Zukunft nicht mehr "auf Kassenrezept" verordnen könne. Die Ast. vermutet, der Hausarzt habe Angst vor einem Regress. Das Medikament sei ihr bereits ausgegangen. Sie habe es nun auf Privatrezept erhalten und selbst - unter Beteiligung ihrer drei Kinder - bezahlt. Das Medikament reiche jetzt einen Monat, sodass etwas Zeit gewonnen sei. Die Ast. meint, die Ag. habe die Kosten für das Medikament zumindest ab November 2011 zu übernehmen, weil der Arzt nicht mehr "auf Kasse" verschreibe, das Medikament jedoch bis auf Weiteres zwingend notwendig sei. Eine Umstellung der Medikation sei, wenn überhaupt, nur in einer Klinik unter dauernder Aufsicht möglich. Soweit eine schulmedizinische Therapie zur Verfügung stehe (Cyclophosphamid), wolle sich die Ast. dieser grundsätzlich nicht verschließen. Solange keine Neueinstellung mit einem anderen wirksamen Medikament erfolgt sei, habe die Ag. die Kosten für das Medikament weiterhin zu übernehmen.
Die Antragstellerin beantragt dem Sinne ihres schriftsätzlichen Vorbringens nach,
die Antragsgegnerin im Wege der einstwei...