Entscheidungsstichwort (Thema)
Avastin zur Behandlung eines Ovarialkarzinoms
Orientierungssatz
1. Die Verordnung von Avastin zur Behandlung eines Ovarialkarzinoms bedarf einer besonderen Begründung.
2. Hält der Vertragsarzt Avastin - unter Bejahung der Off-Label-Use-Voraussetzungen - für verordnungsfähig und kann er dies medizinisch verantworten, so ist er gegenüber den Krankenkassen vertraglich verpflichtet, den entsprechenden Versorgungsanspruch des Versicherten zu erfüllen, indem er das betreffende Arzneimittel vertragsärztlich verordnet.
3. Eine Zulassung von Avastin zur Behandlung eine Ovarialkarzinoms erscheint möglich, jedoch nur für eine Erstlinientherapie, nicht aber für Folgechemotherapien bzw. Rezidivbehandlungen.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Avastin®.
Die am 00.00.0000 geborene Ast. leidet an einem Ovarialkarzinom. Sie wurde deshalb im Oktober 1999 operiert; dabei erfolgte die Entfernung u.a. der Eierstöcke (Ovarektomie), der Gebärmutter (Hysterektomie), des großen (Fett-)Netzes im Bereich des Bauchfells (Omentektomie) und von Lymphknoten (Lymphonodektomie). Daran schlossen sich über einen Zeitraum von fünf Monaten sechs Zyklen einer Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitacxel an. Im Juni 2006 wurde ein Rezidiv des Ovarialkarzinoms mit Metastasen in der Milz festgestellt; daraufhin wurde im Juli 2006 die Milz entfernt; in den folgenden Monaten erhielt die Ast. eine zweite Chemotherapie, wiederum mit Carboplatin und Paclitaxel. Im September 2011 wurde ein zweites Rezidiv des Ovarialkarzinoms festgestellt. Im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 28.11. bis 10.12.2011 wurde ein inoperablerer Befund erhoben. In einer interdisziplinären Tumorkonferenz bestätigten die Krankenhausärzte am 05.12.2011 die von den behandelnden Gynäkologen der Ast. vorgeschlagene Chemotherapie mit Carboplatin, Gemcitabine und Avastin®.
Carboplatin und Gemcitabine sind als Zytostatika (Krebsmittel) zur Behandlung des Ovarialkarzinoms zugelassen. Avastin® ist ebenfalls ein Zytostatikum, das jedoch allein zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Colon- und Rektumkarzinom, Mammakarzinom oder inoperablem fortgeschrittenem metastasiertem oder rezidivierendem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom zugelassen ist; Avastin® hat keine Zulassung zur Behandlung des Ovarialkarzinoms.
Mit Schreiben vom 22.11.2011 stellte die Ast. bei der Ag. einen "Antrag auf Kostenübernahme für die Behandlung mit Avastin®". Sie begründete diesen damit, es seien weitere Behandlungen notwendig, da die Vortherapien nicht zu einer Heilung geführt hätten. Mit der bisher nur für die Brust- und Darmkrebserkrankung zugelassene Substanz Bevacizumab (Avastin®) seien auch positive Ergebnisse beim Eierstockkrebs berichtet worden, weshalb dieses Wirkprinzip für sie eine weitere Therapieoption darstelle. In einer Phase-II-Studie habe für die Primärtherapie gezeigt werden können, dass durch Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel eine Teil- oder Komplettremission bei 75 % der Patienten habe erreicht werden können. Im Rahmen der sog. OCEANS-Studie seien Patienten mit Rezidiv eines Ovarialkarzinoms mit Carboplatin/Gemcitabine/Placebo versus Carboplatin/Gemcitabine/Bevacizumab behandelt worden. Im Hinblick auf die Ergebnisse zugunsten der zusätzlichen Gabe von Bevacizumab sei nun bei ihr eine Chemotherapie in der Kombination Carboplatin/Gemcitabine/Bevacizumab geplant; die zusätzliche Gabe von Bevacizumab (Avastin®) lasse einen deutlich verbesserten Behandlungserfolg erwarten. Die Ast. vertrat die Auffassung, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Kriterien zum Einsatz eines Arzneimittels außerhalb des Zulassungsbereichs zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt seien. In einer Stellungnahme vom 15.12.2011 unterstützte der behandelnde Gynäkologe Dr. B. den Kostenübernahmeantrag der Ast. mit dem Hinweis, der ergänzende Einsatz von Avastin® in der OCEANS-Studie habe zu einem deutlichen Lebenszeitgewinn geführt; aufgrund dieser Ergebnisse sei eine Zulassung beantragt worden und werde in Kürze erwartet. Die Empfehlung zu dieser Therapie sei auch von Prof. Dr. N. im Rahmen einer postoperativen interdisziplinären Tumorkonferenz bestätigt worden.
Die Ag. holte vom Kompetenz Centrum "Onkologie" des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein ein "Gutachten über die Möglichkeit der Leistungsgewährung der GKV für eine zulassungsüberschreitende Bevacizumab-(Avastin®) Behandlung mit einem Ovarialkarzinom" ein. Dr. A. und Prof. Dr. I. setzten sich in dem Gutachten vom 21.12.2011 mit der medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage auseinander und kamen in der sozialrechtlichen Bewertung zum Ergebnis, dass sich den Studiendaten im Rahmen der bei der Ast. geplanten Drit...