Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Abgrenzung einer Heilbehandlung von einer Eingliederungsleistung bei einer Petö-Therapie
Orientierungssatz
1. Allein der Umstand, dass eine Therapiemaßnahme (hier: Petö-Therapie) auch als Heilmittel zur Krankenbehandlung eingesetzt werden kann, schließt die Nutzung der Therapie als sozialhilferechtliche Leistung zur Eingliederungshilfe nicht aus. Ausschlaggebend für die Leistungsübernahme durch den Sozialhilfeträger ist vielmehr, ob der konkrete Einsatz der Therapie unmittelbar die sozialen Folgen einer Behinderung beseitigen oder zumindest mildern und damit zur Integration beitragen soll (Anschluss BSG, Urteil vom 28.08.2018, Az.: B 8 SO 5/17 R).
2. Soweit eine Petö-Therapie im konkreten Einzelfall der medizinischen Rehabilitation dient und Wirkungen für die Soziale Teilhabe nur mittelbar erfolgen, kommt ein Leistungsanspruch des Betroffenen gegen den Sozialhilfeträger als Träger der Eingliederungsleistungen nicht in Betracht.
3. Einzelfall zur Abgrenzung einer Heilbehandlung von einer Leistung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung bei einer Petö-Therapie (hier: Eingliederungsleistung verneint).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Freistellung von den Kosten einer "konduktiven Förderung nach Petö" (Petö-Therapie) in der Zeit vom 01.02.2020 bis 31.03.2021 in Höhe von 2.700,00 EUR.
Die Klägerin wurde am xx.xx.xxxx in der 29. Schwangerschaftswoche geboren. Sie leidet an den Folgen einer Trisomie 21, u.a. muskulärer Hypotonie, komplexen Funktionseinschränkungen aller Bereiche, allgemeiner Entwicklungsstörung, Herzfehler, Zustand nach Herzinfarkt und Epilepsie; sie ist zudem sehbeeinträchtigt. Die Klägerin erhielt medizinische Behandlung und Frühförderung, diese zunächst ab September 2016 im Rahmen interdisziplinärer Frühförderung nach § 46 (früher: § 30) Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX); seit August 2018 erhält sie Eingliederungshilfe durch Übernahme der Betreuungskosten für den Besuch einer inklusiven und heilpädagogischen Kindertagesstätte.
Am 06.02.2020 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten einer Petö-Therapie vom 01.02.2020 bis 31.03.2021, die vom Verein "G. T. B. e.V." durchgeführt wurde. Zur Begründung verwies sie auf Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) und verschiedener Landessozialgerichte (LSG) aus den Jahren 2009 bis 2012. Sie meinte, die Petö-Therapie sei geeignet, ihre kognitiven Fähigkeiten, u.a. die Motorik, die Mobilität und die spätere Schulfähigkeit zu fördern. Sie legte einen Kostenvoranschlag des Leistungserbringers über Jahreskosten in Höhe von 9.072,00 EUR, einen Therapieplan des G. T. B. e.V sowie einen Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der S. B. vom 02.05.2019 vor.
Durch Bescheid vom 31.03.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, die Petö-Therapie diene nicht der sozialen, sondern der medizinischen Rehabilitation. Oberstes Ziel der beantragten Therapie sei es, die Klägerin so weit bewegungsfähig zu machen, dass sie einmal ein selbstständiges, unabhängiges Leben führen könne. Bei den Leistungen dieser Therapie handele es sich daher nicht um die Ermöglichung einer Teilhabe an der Gesellschaft, sondern um die (Wieder-) Herstellung der geschädigten Funktionen (Dysfunktion) "auf Umwegen". Die Förderung des Laufens, Stehens und Sitzens, indem durch Stärkung und Lockerung der Gelenke und Muskulatur an eine bestehende Krankheit und ihren Ursachen angeknüpft werde, diene auch nicht (unmittelbar) dem Ziel der Eingliederungshilfe, soziale Folgen einer Behinderung zu beseitigen oder zu mildern. Leistungen der sozialen Rehabilitation zielten darauf, den Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung von (Teil-) Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt seien, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen oder den Personen, die in die Gesellschaft integriert seien, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichne, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten würden. Die Beklagte berief sich insoweit auf das Urteil des BSG vom 28.08.2018 (B 8 SO 5/17 R).
Dagegen legte die Klägerin am 29.04.2020 Widerspruch ein. Sie meinte, es handele sich bei der Petö-Therapie um eine Leistung zur sozialen Teilhabe. Diese verfolge den Zweck, ihr eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es keineswegs oberstes Ziel der Therapie, sie - die Klägerin - bewegungsfähig zu machen. Die Therapie diene auch nicht ausschließlich medizinischer Rehabilitation. Bei der konduktiven Therapie nach Petö gehe es nicht darum, eine Krankheit oder deren Ursachen zu behandeln. Vielmehr liege dieser Therapie ein ganzheitliches, auf einem pädagogischen Ansatz beruhendes Konzept zugrunde. Die Behinderung werde als Lernstörung verstanden. Die konduktive...