Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Abgrenzung einer Heilbehandlung von einer Eingliederungsleistung bei einer Petö-Therapie
Orientierungssatz
1. Allein der Umstand, dass eine Therapiemaßnahme (hier: Petö-Therapie) auch als Heilmittel zur Krankenbehandlung eingesetzt werden kann, schließt die Nutzung der Therapie als sozialhilferechtliche Leistung zur Eingliederungshilfe nicht aus. Ausschlaggebend für die Leistungsübernahme durch den Sozialhilfeträger ist vielmehr, ob der konkrete Einsatz der Therapie unmittelbar die sozialen Folgen einer Behinderung beseitigen oder zumindest mildern und damit zur Integration beitragen soll (Anschluss BSG, Urteil vom 28.08.2018, Az.: B 8 SO 5/17 R).
2. Soweit eine Petö-Therapie im konkreten Einzelfall der medizinischen Rehabilitation dient und Wirkungen für die Soziale Teilhabe nur mittelbar erfolgen, kommt ein Leistungsanspruch des Betroffenen gegen den Sozialhilfeträger als Träger der Eingliederungsleistungen nicht in Betracht.
3. Einzelfall zur Abgrenzung einer Heilbehandlung von einer Leistung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung bei einer Petö-Therapie (hier: Eingliederungsleistung verneint).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Freistellung von den Kosten einer "konduktiven Förderung nach Petö" (Petö-Therapie) vom 01.07.2020 bis 30.06.2021 in Höhe von 5.184,00 EUR.
Die am 18.02.2001 geborene Klägerin leidet an einer linksbetonten spastischen Tetraparese. Nach dem Besuch der W.-G.-Schule, einer Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung, ist sie inzwischen auf dem W.-w.-Q.-Berufskolleg, einer Förderschule für behinderte Menschen. Auf entsprechende Anträge bewilligte die Beklagte - jeweils nach befürwortenden Stellungnahmen des Gesundheitsamtes - durch Bescheide vom 02.09.2014, 21.09.2015, 16.11.2016, 12.04.2017, 30.05.2018 und 28.08.2019 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten der Petö-Therapie durch den Verein "G. T. B. e.V" für die Zeit vom 27.05.2013 bis 30.06.2020.
Am 16.03.2020 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten einer Petö-Therapie vom 01.07.2020 bis 30.06.2021, die von dem G. T. B. e.V. durchgeführt wurde. Zur Begründung verwies sie auf Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) und verschiedener Landessozialgerichte (LSG) aus den Jahren 2009 bis 2012. Sie meinte, die Petö-Therapie sei geeignet, ihre kognitiven Fähigkeiten, u.a. die Motorik, die Mobilität und die spätere Schulfähigkeit zu fördern. Sie legte einen Kostenvoranschlag über Jahreskosten in Höhe von 9.072,00 EUR und einen Therapieplan des .G. T. B. e.V. sowie einen Bericht dieses Leistungserbringers über den Verlauf der Petö-Therapie vom 09.03.2020 vor.
Durch Bescheid vom 30.06.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, die Petö-Therapie diene nicht der sozialen, sondern der medizinischen Rehabilitation. Oberstes Ziel der beantragten Therapie sei es, die Klägerin so weit bewegungsfähig zu machen, dass sie einmal ein selbstständiges, unabhängiges Leben führen könne. Bei den Leistungen dieser Therapie handele es sich daher nicht um die Ermöglichung einer Teilhabe an der Gesellschaft, sondern um die (Wieder-) Herstellung der geschädigten Funktionen (Dysfunktion) "auf Umwegen". Die Förderung des Laufens, Stehens und Sitzens, indem durch Stärkung und Lockerung der Gelenke und Muskulatur an eine bestehende Krankheit und ihren Ursachen angeknüpft werde, diene auch nicht (unmittelbar) dem Ziel der Eingliederungshilfe, soziale Folgen einer Behinderung zu beseitigen oder zu mildern. Leistungen der sozialen Rehabilitation zielten darauf, den Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung von (Teil-) Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt seien, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen oder den Personen, die in die Gesellschaft integriert seien, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichne, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten würden. Die Beklagte berief sich insoweit auf das Urteil des BSG vom 28.08.2018 (B 8 SO 5/17 R). Die Tatsache, dass in der Vergangenheit Leistungen bewilligt worden seien, begründe für die Zukunft keinen Vertrauensschutz.
Dagegen legte die Klägerin am 13.07.2020 Widerspruch ein. Sie überreichte einen aktuellen Bericht des Leistungserbringers über die Petö-Therapie vom 28.10.2020. Sie meinte, bei der Petö-Therapie handele es sich um eine Leistung zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Die konduktive Förderung nach Petö sei keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Die Therapie habe auch keineswegs als oberstes Ziel, die Klägerin soweit bewegungsfähig zu machen, dass sie einmal ein selbstständiges und unabhängiges Leben führen könne. Die konduktive Förderung nach Petö setze gerade nicht an der Krankheit selbst und ihren Ursachen an, sondern versuche, die behinderten Menschen anzuleiten, d...