Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Ausweispapieren. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. keine unbenannte Bedarfslage. Bestandteil des Regelbedarfs. je nach Höhe der Kosten ggf Anspruch auf ein ergänzendes Darlehen
Orientierungssatz
1. § 73 S 1 SGB 12 kann seit dem 1.1.2011 nicht mehr als Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Kosten für die Beschaffung von Ausweispapieren herangezogen werden.
2. Sind die Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Reisepasses höher als diejenigen, die nach dem RBEG im Regelbedarf abgebildet sind, kann Anspruch auf ein ergänzendes Darlehen nach § 37 Abs 1 SGB 12 bestehen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines türkischen Passes in Höhe von 128,20 EUR aus Sozialhilfemitteln als Zuschuss statt - wie bewilligt - als Darlehen.
Der 0000 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er steht unter amtsgerichtlich angeordneter Betreuung. Er bezieht von der Beklagten seit Jahren laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Seit 01.06.2011 betrug die Leistung monatlich 689,38 EUR (364,00 EUR Regelbedarf, 61,88 EUR Mehrbedarf, 208,50 EUR Kosten der Unterkunft und 55,00 EUR Heizkosten.
Am 17.03.2011 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für einen neuen türkischen Reisepass unter Hinweis darauf, der bisherige Pass laufe im Juli aus und dürfe nicht verlängert werden.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 21.03.2011 ab. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 SGB XII lägen nicht vor, da es sich bei der Ersatzbeschaffung von Ausweispapieren nicht um eine außergewöhnliche Lebenssituation handele und darüber hinaus die entsprechenden Kosten als durch den Regelsatz abgegolten zu betrachten seien. Auch deutsche Staatsbürger seien nicht von den Passkosten befreit, sodass kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliege. Sollte es dem Kläger bis zum Ablauf der Gültigkeit seiner Ausweispapiere nicht möglich sein, die notwendigen Gebühren aus seinen Regelsatzleistungen anzusparen, käme die Gewährung eines Darlehens gemäß § 37 SGB XII in Frage.
Dagegen erhob der Kläger am 28.03.2011 Widerspruch. Er meinte zunächst, Geldmittel für Passausstellungen seien nicht in den Regelsätzen des § 28 SGB XII enthalten. Wenn nach deutschem Passrecht deutsche Staatsangehörige, die Sozialhilfe beziehen würden, keine Gebühren entrichten müssten, sei es eine Ungleichbehandlung türkischer Sozialhilfeempfänger, wenn diese nicht von den Passkosten befreit würden. Mit Schreiben vom 02.05.2011 wies der Beklagte den Kläger auf das ab 01.01.2011 geltende "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" hin; danach seien die Kosten für den Personalausweis in den Regelbedarfen enthalten; Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII seien nicht länger von den Gebühren befreit. Daraufhin räumte der Kläger zwar ein, dass ab 01.01.2011 die Ausweiskosten im Regelbedarf enthalten seien, meinte aber, er habe in der kurzen Zeit seit Inkrafttreten des Gesetzes keine Möglichkeit, die schon im nächsten Monat anfallenden Passgebühren aus dem Regelsatz zu decken. Die Beklagte bot dem Kläger an, die Kosten der Passbeschaffung abzüglich 28,80 EUR, das ist der für deutsche Personalausweise anfallende Gebührenbetrag, als Darlehen zu gewähren. Der Kläger nahm das Angebot an, ohne seine weitergehende - auf einen Zuschuss gerichtete - Rechtsauffassung aufzugeben.
Am 06.07.2011 wurde dem Kläger ein neuer türkischer Pass mit einer Gültigkeitsdauer von zehn Jahren ausgestellt. Dafür entstanden ihm Kosten in Höhe von 157,00 EUR (147,00 EUR Passgebühr und 10,00 EUR für ein Passfoto); hiervon zahlte der Kläger 77,00 EUR, sein Betreuer die restlichen 70,00 EUR, die er dem Kläger als Darlehen gab.
Durch Bescheid vom 21.07.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Passbeschaffung ein Darlehen in Höhe des Differenzbetrages zwischen der für Deutsche maßgeblichen Ausweisgebühr (28,80 EUR) und den tatsächlichen Passbeschaffungskosten des Klägers (157,00 EUR), also 128,20 EUR. Von diesen zahlte sie 70,00 EUR an den Betreuer, die restlichen 58,20 EUR an den Kläger. Unter Einbeziehung weiterer dem Kläger aus Sozialhilfemitteln bereits gewährten Darlehen wurden seit dem 01.07.2011 von der Sozialhilfe des Klägers monatlich 50,00 EUR zur Tilgung der Darlehen einbehalten; mit einer letzten Rate von 48,00 EUR im Juni 2012 sind die Darlehen vollständig getilgt.
Durch Widerspruchsbescheid vom 21.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wiederholte ihre Auffassung, dass ein Anspruch auf Übernahme der Passbeschaffungskosten nach § 73 SGB XII nicht bestehe. Passbeschaffungskosten gehörten zum Regelbedarf; da es sich jedoch nicht um einen laufenden, sondern um einen unregelmäßig anfallenden Betrag han...