Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Ermächtigung einer Hochschulambulanz zur ambulanten ärztlichen Behandlung. Beachtung der verfassungsrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit. Beschränkung durch Eingriff in die Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 117 Abs 1 S 1 und 2 SGB 5 ist im Kontext der verfassungsrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit einer Hochschulambulanz nach Art 5 Abs 3 S 1 GG zu sehen und auszulegen. Ein Verfassungsrechtsgut, das (abgesehen von dem Ziel einer bestmöglichen Patientenversorgung) eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit zu rechtfertigen vermag, steht allein in Gestalt der Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte nach Art 12 Abs 1 GG zur Verfügung (vgl LSG Baden-Württemberg vom 20.11.2007 - L 5 KA 3892/07 ER-B = GesR 2008, 26). Der Konflikt zwischen den kollidierenden Verfassungsrechtsgütern ist im Sinne praktischer Konkordanz derart zu lösen, dass alle Rechtgüter einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl BVerfG vom 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 = BVerfGE 93, 1).
2. Da für die Frage, ob und ggf in welchem Umfang durch die Ermächtigung nach § 117 Abs 1 SGB 5 eine Beeinträchtigung beruflicher Interessen niedergelassener Vertragsärzte erfolgt, auch regionale Besonderheiten des Versorgungsgebietes zu berücksichtigen sind, ist ein enger Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien anzuerkennen. Er beschränkt sich jedoch auf die Frage der Beurteilung der Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte und damit lediglich auf einen Teilbereich der Gewichtung des Verfassungsrechtsgutes aus Art 12 Abs 1 GG.
Tenor
Der Bescheid des Zulassungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 31.10.2002 in der Fassung des Beschlusses der Berufungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 31.01.2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Fallzahlenbegrenzung und der Beschränkung des Zugangsweges neu zu bescheiden.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 5) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Umfang der Ermächtigung von Hochschulambulanzen der Klägerin zur ambulanten ärztlichen Behandlung von Versicherten.
Die als Anstalt öffentlichen Rechts organisierte Klägerin beantragte unter dem 29.05.2002 eine Ermächtigung ihrer Hochschulambulanzen zur ambulanten Behandlung von Versicherten und der in § 75 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) genannten Personen ab 01.01.2003. Mit Beschluss vom 30.10.2002 (Bescheid vom 31.10.2002) erteilte der Zulassungsausschuss für Ärzte diese Ermächtigung, jedoch beschränkt auf 13.125 Versicherte pro Quartal (im Folgenden: Fallzahlbegrenzung) sowie auf solche Versicherte, die sich auf Überweisung von Vertragsärzten vorstellen, befristet bis 31.12.2004 und mit weiteren Auflagen. Nach erfolglosem Verfahren vor dem Berufungsausschuss (Beschluss des Beklagten vom 12.03.2003) hob das Sozialgericht im sich anschließenden Klageverfahren (Az. S 7 KA 4/03) die Befristung auf und verurteilte den Beklagten im Hinblick auf die ausgesprochene Fallzahlbegrenzung sowie auf die Beschränkung des Zugangsweges zur Neubescheidung (Urteil vom 15.07.2004). Die hiergegen gerichtete Berufung wurde am 14.09.2005 zurückgenommen. Im daraufhin erneut durchgeführten Verfahren gab der Beklagte der Klägerin unter dem 13.01.2006 auf, eine schriftliche Stellungnahme der in Betracht kommenden Hochschullehrer vorzulegen, welche "Studentenzahlen" von ihr für Forschung und Lehre benötigt würden. Die Klägerin nahm am 08.11.2006 sowie am 20.02.2007 Stellung und führte aus, die Entscheidungskompetenz über die für aktuelle Forschungsvorhaben und Lehrveranstaltungen geeigneten Patienten könne nur bei ihr (bzw. ihren Hochschulambulanzen) liegen. Die Fallzahlen spiegelten den tatsächlichen Bedarf für Forschung und Lehre nicht mehr wider, weil die Forschungsaktivitäten deutlich zugenommen hätten (dies dokumentiere etwa die Einrichtung von Forschungsschwerpunkten sowie die Zunahme von Forschungs- bzw. Drittmittelprojekten; Letztere hätten sich von 573 im Jahr 2000 auf 1.034 im Jahr 2005 fast verdoppelt). Gleichzeitig legte die Klägerin eine Aufstellung über die in den einzelnen Fachkliniken benötigten Patienten vor. Der Beklagte zog daraufhin Frequenztabellen der Kliniken der Klägerin bei. Demgegenüber verwies die Beigeladene zu 5) im Verwaltungsverfahren auf die Ergebnisse der Hochschulambulanzstudie (Lauterbach, u.a.: Hochschulambulanzstudie, St. Augustin 2002). Danach liege die Rekrutierungsquote im Bereich der Forschung bei lediglich 5%, d.h. die Anzahl der angesprochenen Patienten übersteige die Anzahl der letztendlich rekrutierten Patienten um das 6-fache. Aus diesem Grund sei eine Filterung der Patienten durch niedergelassene Vertragsärzte geboten. Der Beklagte wies nach Auswertung der Stellungnahmen ...