Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der Krankheitswertigkeit als Voraussetzung der Leistungspflicht der Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Die Leistungspflicht der Krankenkasse setzt das Bestehen einer Krankheit voraus. Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt.

2. Infolge der Reduzierung des Körpergewichts entstandene Hautlappenüberschüsse, wie z. B. die sog. Fettschürze, können nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil damit keine körperliche Fehlfunktion verbunden ist.

3. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Geltend gemachten psychischen Belastungen ist nicht mit chirurgischen Eingriffen in eine an sich gesunde Körpersubstanz, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Ganzkörperstraffung (Bodylift), einer Oberschenkelstraffung sowie einer Brust- und Oberarmstraffung.

Der am 00.00.00 geborene Kläger wog im Jahre 2006 140 kg bei einer Körpergröße von 183 cm (Body-Mass-Index [BMI]: 41,8). Nach einer im November 2006 erlittenen Lungenembolie begann er eine Gewichtsreduktion; durch sportliche Betätigung und Ernährungsumstellung senkte er sein Körpergewicht auf 73 kg und hält dieses konstant. Durch die Gewichtsabnahme kam es laut ärztlichem Attest des behandelnden Hausarztes zur "Ausbildung von störenden Bindegewebsüberhängen an Bauch, Brust und Oberarmen".

Am 25.01.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Ganzkörperstraffung (Bodylift) nach Lockwood mit anschließender Oberschenkel- sowie Brust- und Oberarmstraffung. Er legte dazu eine befürwortende Bescheinigung von Dr. S., Chefarzt der Klinik für plastische Chirurgie des Dreifaltigkeits-Krankenhauses Wesseling, vom 14.12.2007 vor.

In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 19.03.2008 kam Dr. N. zum Ergebnis, es liege kein krankheitswerter Befund und keine körperliche Entstellung vor; die beantragte Maßnahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung könne nicht befürwortet werden.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 08.04.2008 ab.

Dagegen legte der Kläger am 29.04.2008 Widerspruch ein; er verwies auf unangenehme Empfindungen, sich vor der eigenen Freundin zu entkleiden, oder bei Besuchen in Schwimmbädern oder Saunen. Er legte ein Schreiben seiner Freundin vor, in der diese die belastenden Empfindungen des Klägers im Sexualleben sowie bei Strand- oder Schwimmbadbesuchen bestätigte; sie wies darauf hin, dass der Kläger allein wegen seiner Hygienemaßnahmen keine Ekzeme und Nässe unter den hängenden Hautstellen habe.

Nach Einholung einer weiteren MDK-Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18.07.2008 zurück.

Die dagegen am 02.09.2008 erhobene Klage (S 15 KR 51/08) nahm der Kläger zurück, weil sie nicht fristgerecht erhoben worden war.

Am 13.10.2008 beantragte der Kläger - gestützt auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - die Überprüfung des Bescheides vom 08.04.2008 auf seine Richtigkeit.

Durch Bescheid vom 26.11.2008 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 08.04.2008 unter Bezugnahme auf das MDK-Prüfungsergebnis ab. Den dagegen am 18.12.2008 eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 30.04.2009, dem Kläger bekannt gegeben am 06.05.2009, zurück.

Dagegen hat der Kläger am 05.06.2009 Klage erhoben. Er weist daraufhin, dass - anders als der MDK - das Dreifaltigkeits-Krankenhaus Wesseling die Indikation zu den Straffungsmaßnahmen bejaht habe. Außerdem seien die psychologischen Faktoren völlig außer Acht gelassen worden; diese Komponente spiele eine große Rolle, da ihn die Entstellung seines Körpers stark körperlich und seelisch belaste. Der Kläger hat Fotografien überreicht, die den Zustand und das Aussehen seines Körpers wiedergeben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2009 sowie des Bescheides vom 08.04.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2008 zu verurteilen, ihm eine Ganzkörperstraffungs-(Bodylift-)Operation mit anschließender Oberschenkelstraffung und kombinierterBrust- und Oberarmstraffung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- u...

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