Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Erbschaft. steuerrechtlicher Einkommensbegriff. Verfassungsmäßigkeit. keine analoge Anwendung des § 23 Abs 5 SGB 2 auf Einkommen. Übertragbarkeit der Freibeträge aus § 12 Abs 2 S 1 Nr 1a SGB 2
Orientierungssatz
1. Eine Erbschaft ist bei der Berechnung von Leistungen nach dem SGB 2 als Vermögen zu berücksichtigen.
2. Der im Steuerrecht geltende Einkommensbegriff ist bei der Auslegung des Einkommensbegriffs im SGB 2 heranzuziehen.
3. Die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe, wonach der Veräußerungserlös aus einem im Vermögen befindlichen Gegenstand zum Verkehrswert kein Einkommen darstellt, sondern weiterhin Vermögen ist, ist auf den Bezug von Arbeitslosengeld II zu übertragen (vgl BSG vom 17.3.2005 - B 7a/7 AL 10/04 R = SozR 4-4300 § 193 Nr 4). Dieser Grundsatz ist auch auf Vermögenswerte aus Erbschaften anzuwenden.
4. Eine Erbschaft stellt auch dann kein Einkommen dar, wenn sie Barmittel zum Gegenstand hat, bei denen keine Verwertungsschwierigkeiten bestehen (zB Bankkonto, Bargeld). Eine Unterscheidung zwischen der Art des geerbten Vermögensgegenstandes würde steuerrechtlich eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von geerbten Barmitteln gegenüber geerbten Sachwerten bedeuten (vgl BVerfG vom 7.11.2006 - 1 BvL 10/02 = BVerfGE 117, 1 = WM 2007, 316). Eine solche Ungleichbehandlung ist nicht nur im Steuerrecht, sondern auch im SGB 2 gleichheitswidrig.
5. Die Regelung des § 23 Abs 5 SGB 2, wonach einem Hilfebedürftigen, dem der sofortige Verbrauch bzw sofortige Verwertung von zu berücksichtigenden Vermögen nicht möglich ist, darlehensweise Arbeitslosengeld II gewährt werden kann, kann nicht analog auf einen Hilfebedürftigen angewendet werden, dessen Einkommen nicht sofort verwertet bzw verbraucht werden kann.
6. Die Freibetragsregelung in § 12 Abs 2 SGB 2 ist dahingehend auszulegen, dass zumindest dann, wenn Kinder kein eigenes Vermögen haben, deren Freibeträge auf die Eltern übertragbar sind. Bei vorhandenem Kindesvermögen sind die Freibeträge nach § 12 Abs 2 S 1 Nr 1a SGB 2 vorrangig auf das Vermögen des Kindes anzurechnen; ein möglicher Restbetrag kann den Eltern zugeschrieben werden.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 07.05.2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 30.05.2007 verpflichtet, an die Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für Februar bis Mai 2007 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Erbschaft beim Bezug von Arbeitslosengeld II (Alg II) als Vermögen oder Einkommen zu berücksichtigen ist.
Der am 00.00.1956 geborene Kläger zu 1), die am 00.00.1958 geborene Klägerin zu 2) und deren am 00.00.1993 und am 00.00.1994 geborenen Kinder, die Kläger zu 3) und 4), standen bei der Beklagten seit Januar 2005 im laufenden Leistungsbezug. Zuletzt wurden mit Bescheid vom 16.11.2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 786,53 EURO monatlich für die Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 bewilligt.
Am 15.01.2007 erhielten die Kläger eine Zahlung von 21.228,57 EURO. Das Geld stammte aus einer Erbschaft, worüber die Kläger die Beklagte auch noch im Januar 2007 informierten. Die Klägerin zu 2) hatte ihren am 13.05.2006 verstorbenen Vater beerbt. Die Beklagte stellte hierauf die Leistungen ab März 2007 - zunächst ohne Erlass eines Bescheids - ein und hob die Leistungsbewilligung vom 16.11.2006 nach Anhörung der Kläger ab Februar 2007 mit Bescheid vom 07.05.2007 auf. Die den Klägern zugeflossene Erbschaft stelle Einkommen dar, das als einmalige Einnahme auf einen angemessenen Zeitpunkt zu verteilen sei. Die Kläger könnten ihren Lebensunterhalt von der Erbschaft für 26 Monate selbst bestreiten. Die Erbschaft sei ab Februar 2007 anzurechnen, weshalb es im Februar 2007 zu einer Überzahlung in Höhe von 786,53 EURO gekommen sei, die zu erstatten sei. Ab März stünden keine Leistungen mehr zu.
Im Widerspruchsverfahren trugen die Kläger vor, dass die Erbschaft als Vermögen zu bewerten sei und deshalb die für Vermögen anzusetzenden Freibeträge zu berücksichtigen seien. Der Kläger zu 1) habe einen Freibetrag von 7.500,00 EURO, die Klägerin zu 2) einen Freibetrag von 7.200,00 EURO und die Kinder jeweils einen Freibetrag von 3.100,00 EURO (20.900,00). Aus diesem Grund sei es zu keiner Überzahlung gekommen. Der Widerspruch wurde von der Beklagten Ende Mai 2007 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kläger haben am 06.06.2007 Klage erhoben, die sie auf die bereits im Widerspruchsverfahren bereits vorgetragenen Begründung stützen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.05.2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 30.05.2007 zu verpflichten, an die Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für Februar bis Mai 2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des ...