Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Pflegeversicherung. häusliche Krankenpflege. Abgrenzung zwischen Behandlungssicherungs- und Grundpflege (hier Anlegen eines orthopädischen Stützkorsetts)

 

Orientierungssatz

1. Im Lichte der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 17.3.2005 - B 3 KR 9/04 R = BSGE 94, 192 = SozR 4-2500 § 37 Nr 3) und der vom Willen des Gesetzgebers getragenen Bestimmung des § 37 Abs 1 S 1 SGB 5 ist das Anlegen eines orthopädischen Stützkorsetts zur Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung einer schweren Osteoporose und zur Vorbeugung (weiterer) Sinterungsbrüche in erster Linie eine Maßnahme der Behandlungspflege.

2. Allein der sich aus einem Pflegegutachten ergebende Umstand, dass der Hilfebedarf beim Anziehen eines Stützkorsetts bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 SGB 11 zu berücksichtigen ist und auch berücksichtigt worden ist, steht einem Anspruch auf häusliche Krankenpflege für diese Verrichtung nicht entgegen.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides am 15.02.2011 und der Bescheid vom 13.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2011 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1000,44 EUR zu erstatten.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten häuslicher Krankenpflege (HKP) in Form des Anziehens eines Stützkorsetts für die Zeit vom 01.11.2010 bis 27.01.2011 in Höhe von 1.000,44 EUR.

Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bis Mitte März 2011 lebte sie allein in einer Wohnung auf der ersten Etage eines Zwei-Familienhauses. Sie ist erheblich pflegebedürftig und erhält Leistungen nach Pflegestufe I. Ihre Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erfolgte durch einen ambulanten Pflegedienst (morgens) und ihre in der Nähe, aber nicht mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden drei Kinder. Die Klägerin leidet u.a. an Osteoporose, hat bereits mehrere Wirbelkörperspontanfrakturen erlitten und ist mit einem orthopädischen Wirbelsäulenstützkorsett versorgt. Dieses kann sie nicht selbst, sondern nur mit fremder Hilfe anziehen.

Am 29.10.2010 verordnete der Hausarzt der Klägerin HKP in Form von "Anlegen eines Stützkorsetts" einmal täglich/siebenmal wöchentlich für die Zeit vom 01.11.bis 31.12.2010.

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 04.11.2010 ab mit dem Hinweis, es handele sich beim Anlegen des Stützkorsetts um Grundpflege, die keinen Anspruch auf HKP begründe.

Dagegen legte die Klägerin am 17.11.2010 Widerspruch ein. Sie trug vor, sie müsse wegen hochgradiger Osteoporose und Wirbeleinbrüchen ein ärztlich verordnetes Stützkorsett tragen, um weitere Wirbeleinbrüche und gegebenenfalls Lähmungen zu verhindern. Wegen rheumatoider Arthrosen, Sehnenriss am rechten Oberarm, Zustand nach Radiusfraktur am linken Handgelenk und beginnender Demenz könne sie das Korsett nicht selbst anlegen.

Die Beklage wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15.02.2011 zurück. Sie nahm Bezug auf die HKP-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA); nach Nr. 4 des Verzeichnisses zu diesen Richtlinien sei das Anziehen eines Stützkorsetts der Grundpflege zugeordnet; dies sei für sie verbindlich. Die alleinige Erforderlichkeit von Grundpflege und/oder hauswirtschaftlicher Versorgung begründe keinen Anspruch auf HKP.

Dagegen hat die Klägerin am 09.03.2011 Klage erhoben.

Am 21.12.2010 verordnete der Hausarzt weitere HKP "Anziehen eines Stützkorsetts" einmal täglich für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2011. Die Beklage lehnte den Antrag durch Bescheid vom 13.01.2011 ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 13.04.2011 zurück. Dagegen hat die Klägerin am 16.05.2011 Klage erhoben (S 13 KN 144/11 KR).

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Gericht die beiden Verfahren durch Beschluss vom 15.07.2011 verbunden.

Seit dem 16.03.2011 lebt die Klägerin in einem Seniorenheim. Bis dahin hat der ambulante Pflegedienst das Stützkorsett der Klägerin angelegt. Aus Gründen der Kulanz hat dieser die Leistung nur bis 27.01.2011 berechnet. Er hat der Klägerin - für November 2010 durch Rechnung vom 31.12.2010 339,34 EUR - für Dezember 2010 durch Rechnung vom 31.12.2010 372,62 EUR - für Januar 2011 durch Rechnung vom 05.05.2011 288,48 EUR insgesamt 1.000,44 EUR in Rechnung gestellt, die die Klägerin am 08.02. und 12.05.2011 bezahlt hat.

Die Klägerin meint, bei dem Anziehen des Stützkorsetts handele es sich in ihrem Fall um Behandlungspflege. Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach zur Behandlungspflege alle Pflegenahmen zählten, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht würden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet seien und dazu beitrügen, eines der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erreichen. Dies treffe auf das Stützkorsett, das ihr ...

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