Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente vor dem vollendeten 63. Lebensjahr

 

Orientierungssatz

1. Die 13. Kammer des SG Aachen folgt bei der Entscheidung darüber, welcher Abschlag maximal bei der Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente vor dem vollendeten 63. Lebensjahr in Kauf genommen werden muss, nicht der Entscheidung des BSG vom 16. 5. 2006; B 4 RA 22/05 R.

2. Beginnt eine Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so ist für die Bestimmung des Zugangsfaktors die Vollendung des 60. Lebensjahres maßgeblich. Deshalb gilt bei der Berechnung der höchstmöglichen Reduzierung des Zugangsfaktors die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme.

3, Die Beurteilung der Kammer ist durch den vom BVerfG entwickelten abgestuften Eigentumsschutz gedeckt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erwerbsminderungsrenten vom 01.01.2005 bis 31.03.2007.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragte am 10.01.2005 Rente wegen Erwerbsminderung. Durch Bescheide vom 22.04.2005 und 17.05.2005 bewilligte die Beklagte - ausgehend von einer seit 19.07.2004 bestehenden Erwerbsminderung - Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.01.2005 und wegen voller Erwerbsminderung ab 01.02.2005, befristet bis 31.12.2007. Die Höhe dieser Renten bestimmte die Beklagte nach einem verminderten Zugangsfaktor von 0,892.

Seit 01.04.2007 erhält der Kläger anstelle der Rente wegen Erwerbsminderung Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 09.01.2007). Auch diese Rente ist nach einem Zugangsfaktor von 0,892 berechnet.

Am 11.12.2006 beantragte der Kläger die Überprüfung der Höhe und eine Neuberechnung der seit 01.01.2005 gewährten Rente. Zur Begründung verwies er u.a. auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R.

Durch Bescheid vom 16.01.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Neufeststellung der Rente ab mit der Begründung, die Rente werde in richtiger Höhe gezahlt. Den hiergegen am 18.01.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 06.03.2007 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 28.03.2007 Klage erhoben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 16.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm in entsprechender Abänderung der Rentenbewilligungsbescheide vom 22.04.2005 und 17.05.2005 höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 für falsch und ihre Berechnung der Erwerbsminderungsrenten für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Recht den Antrag auf Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide über die Bewilligung der Erwerbsminderungsrenten ab 01.01.2005 und eine Nachzahlung von Rente abgelehnt, da bei Erlass dieser Bescheide das Recht richtig angewandt und die Rentenleistungen in richtiger Höhe erbracht worden sind (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X).

Die Beklagte hat sich bei der Berechnung der Rente und bei der Bestimmung des Zugangsfaktors zu Recht auf das ab 01.01.2001 geltende Rentenrecht in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl. I S. 1827 - gestützt. Sie hat in Anwendung von § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) den Regel-Zugangsfaktor 1,0 für 36 Monate um je 0,003, insgesamt also um 0,108 niedriger angesetzt.

Zwar entspricht die Rentenberechnung der Beklagten nicht der Auffassung des BSG im Urteil vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R). Jedoch hat die 8. Kammer des Sozialgerichts Aachen durch Urteil vom 09.02.2007 (S 8 R 96/06) die dem BSG nicht folgende Praxis der Rentenversicherungsträger als mit dem Gesetz in Einklang stehend erkannt und ist der Ansicht des BSG nicht gefolgt. Sie hat dies wie folgt begründet:

"Allerdings entspricht die Entscheidung der Beklagten nicht dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R -. Nach dieser Entscheidung unterliegen Erwerbsminderungsrentner, die - wie der Kläger - bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur, wenn sie Rente üb...

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