Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Mindestmengen. komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus. Vorlage einer positiven Prognose als alleinige Voraussetzung für die Leistungserbringung. Aufbau neuer Leistungsbereiche. Ausnahme für einen Übergangszeitraum von 36 Monaten. keine Bindung an die jährliche Mindestmenge. keine Pflicht zur Abgabe einer Prognose oder zur Mitteilung über das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes
Orientierungssatz
1. Aus § 136b Abs 4 S 3 SGB 5 folgt, dass der Krankenhausträger allein durch die Vorlage einer (jedenfalls nicht völlig abwegigen und schlechthin willkürlich erscheinenden) Prognose weiterhin Leistungen im Geltungsbereich der betroffenen Mindestmenge erbringen darf. Eine vorherige positive Feststellung der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen, die Leistungen erbringen zu dürfen, ist nicht erforderlich.
2. Aus Anl 2 Nr 3 der Mindestmengenregelungen (Mm-R; juris: MmR) in der Fassung vom 7.12.2016 (BAnz AT 23.12.2016 B8) folgt, dass der Krankenhausträger für den Übergangszeitraum von 36 Monaten an die Vorgaben des § 136b Abs 4 SGB 5 und insbesondere an die in Anl 1 Nr 3 MmR festgelegte jährliche Mindestmenge von 10 komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus nicht gebunden war.
3. Für diesen Übergangszeitraum bestand keine Pflicht, die nach der jeweils maßgeblichen MmR beabsichtigten Eingriffe anzuzeigen und/oder eine entsprechende Prognose abzugeben. Auch bestand keine Pflicht, das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes mitzuteilen. Die Berechtigung zur Durchführung komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus war außerdem nicht davon abhängig, dass die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen zuvor das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes festgestellt hatten.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 28.08.2019 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Erbringung und Abrechnung von komplexen Eingriffen am Organsystem Pankreas durch den Kläger im Jahr 2020 nicht gegen die Mindestmengenregelungen nach § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V verstoßen haben bzw. verstoßen. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagten. Der Streitwert wird auf 407.631,90 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Klägers, im Kalenderjahr 2020 die unter die Mindestmengenregelung fallende Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" erbringen und abrechnen zu dürfen. Der Kläger ist Träger eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Krankenhauses. In der Vergangenheit erbrachte er bereits die mindestmengenrelevanten Leistungen "Komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas" und "Kniegelenk-Totalendoprothese". Ende 2017 begann er mit dem Aufbau eines neuen mindestmengenrelevanten Leistungsbereichs in der Ösophaguschirurgie. Am 20.12.2017 erfolgte ein erster komplexer Eingriff am Organsystem Ösophagus. Im Jahr 2018 erbrachte der Kläger zehn, im Jahr 2019 zwölf, im ersten Halbjahr 2020 fünf komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus; im Zeitraum vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 wurden elf komplexe Ösophagus-Eingriffe durchgeführt. Mit Schreiben vom 16.10. und 08.11.2018 gab der Kläger - neben den beiden Leistungs-bereichen "Komplexe Eingriffe am Pankreas" und "Kniegelenk-Totalendoprothese" - erstmals unter Hinweis auf § 136b Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine Prognose für den Leistungsbereich "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Jahr 2019 ab. Auf der Basis der Leistungszahlen im Zeitraum vom 01.12.2017 bis 05.10.2018 ging er davon aus, die erforderliche Mindestmenge für 2019 zu erfüllen. Er berief sich - ausgehend von dem am 20.12.2017 durchgeführten ersten Eingriff dieses Leistungsbereichs - auf den Ausnahmetatbestand Nr. 3 der Anlage 2 der bis 31.12.2017 geltenden Mindestmengenregelungen (Mm-R) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Da ihm ein Übergangszeitraum von 36 Monaten für die (dauerhafte) Erreichung der Mindestmenge zustehe, habe es einer vorherigen Mitteilung der Leistungserbringung im Jahr 2017 nicht bedurft; die abweichenden Regelungen der Mm-R 2018 seien erst zum 01.01.2018 in Kraft getreten. Nach der Übergangsregelung des § 10 Abs. 3 der Mm-R 2018 bleibe eine bis zum 31.12.2017 bestehende Berechtigung zur Leistungserbringung aufgrund eines Ausnahmetatbestandes von den geänderten Regelungen der Mm-R unberührt. Mit Bescheid vom 26.11.2018 stimmten die Beklagten zu 1., 3., 4., 5., 6. und 7. den für 2019 geplanten "Komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus" nicht zu. Sie widersprachen der Auffassung des Klägers, dass es keiner vorherigen Mitteilung des Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes bedurft habe. Nach § 136b SGB V bestehe für Leistungen, die der Mindestmengenregelung unterliegen, ein grundsätzliches Leistungserbringungs- und Vergütungsverbot, es sei denn, die Zulässigkeit sei gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen nachgewiesen worden. Dies geschehe durch entsprechende jährliche Darlegung der Prognose...