Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Der Rechtsauffassung des 4. Senats des BSG im Urteil vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, wonach der Zugangsfaktor bei vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Renten wegen Erwerbsminderung nicht zu reduzieren ist, ist nicht zu folgen.
2. Verfassungsrechtliche Bedenken an der Regelung des § 77 SGB 6 hat die Kammer nicht. Insbesondere besteht kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 GG (Anschluss an SG Aachen vom 29.6.2007 - S 6 R 319/06.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darüber, ob der Klägerin eine höhere Erwerbsminderungsrente zusteht.
Die Beklagte bewilligte der am 00.00.1950 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 18.10.2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, beginnend ab dem 01.06.2002 zunächst befristet bis zum 31.03.2004. Bei der Berechnung der Rente legte sie anstatt persönlicher Entgeltpunkte von 21,0500 nur 19,9133 zugrunde, da sie den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,054 auf 0,946 minderte und die persönlichen Entgeltpunkte damit multiplizierte. Aufgrund eines Anerkenntnisses nach einem gerichtlichen Verfahren gewährte die Beklagte der Klägerin die volle Erwerbsminderungsrente über den 31.03.2004 hinaus bis zum 30.09.2007 weiter, wobei sie bei der Rentenberechnung weiterhin von dem verminderten Zugangsfaktor von 0,946 und Entgeltpunkten von 19,9133 ausging.
Am 11.09.2006 und am 16.01.2007 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Höhe und Neuberechnung der Rente unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R).
Mit Bescheid vom 25.01.2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, die Rente werde in richtiger Höhe gezahlt.
Den dagegen am 29.01.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf den Wortlaut des § 77 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Im übrigen sei gleichzeitig mit der Neuregelung des § 77 SGB VI die Zurechnungszeit verlängert worden. Daher halte sie die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG für falsch.
Hiergegen richtet sich die am 23.04.2007 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.
Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2007 unter entsprechender Abänderung der Bewilligungsbescheide vom 18.10.2002 und 30.09.2005 zu verurteilen, ihr ungekürzte Rente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn, hilfsweise ab Stellung des Überprüfungsantrags zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Streitakte S 0 RA 00/00 des Sozialgerichts Aachen verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Rentenbescheide und Zahlung einer höheren (abschlagsfreien) Rente. Denn die Beklagte ist bei der Berechnung der Rente in Anwendung von § 77 SGB VI in Verbindung mit § 264 c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI zutreffend von einem verminderten Zugangsfaktor, nämlich einem Wert von 0,946 ausgegangen.
Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Der Wortlaut dieser Regelung ist eindeutig. Danach sind die bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsf...