Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Überleitungsanzeige. sozialgerichtliche Prüfung des Bestehens des übergeleiteten Anspruchs. Negativevidenz. Ermessensausübung

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen der (reinen) Anfechtungsklage gegen eine Überleitung iS des § 93 SGB 12 vertraglicher Ansprüche prüft das Sozialgericht das Bestehen des überzuleitenden Anspruchs nur darauf, ob der betroffenen Anspruch nach objektivem materiellen Recht von vornherein ausgeschlossen erscheint, dh ob das Nichtvorliegen des übergeleiteten Anspruchs offenkundig ist (sog "Negativevidenz, vgl BVerwG vom 27.5.1993 - 5 C 7.92 = NJW 1994, 64 zu § 90 BSHG, zu § 93 SGB 12 vgl LSG Essen vom 18.7.2007 - L 20 B 16/07 SO, LSG München vom 14.2.2008 - L 11 SO 20/07 und SG Hildesheim vom 12.8.2008 - S 34 SO 228/06).

2. Die Negativevidenz steht einer Überleitung nach § 93 SGB 12 grundsätzlich nicht entgegen, wenn ein Hilfeempfänger ein ihm notariell zugesichertes Wohnrecht nicht mehr ausüben kann, weil er in ein Pflegeheim aufgenommen wird.

3. An die einer Überleitungsanzeige zugrunde liegende Ermessensausübung sind angesichts der Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 SGB 12) keine sehr hohen Anforderungen zu stellen (vgl LSG Essen aaO). Regelmäßig genügt der Hinweis auf das öffentliche Interesse an der sparsamen Verwendung der aus dem Steueraufkommen finanzierten Sozialhilfemittel.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten. Der Streitwert wird auf 3.806,32 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Überleitungsanzeige.

Der am 00.00.00 geborene Kläger und seine Schwester sind Erben ihrer am 00.00.00 geborenen und am 00.00.00 verstorbenen Mutter (i.F.: Hilfeempfängerin). Eine Erbauseinandersetzung hat bislang nicht stattgefunden.

Durch notariellen Vertag vom 00.00.00 veräußerte die Hilfeempfängerin zwei Grundstücke an den Kläger, der ihr zugleich ein lebenslanges Wohnrecht an dem Grundbesitz einräumte und sich verpflichtete, die Hilfeempfängerin "lebenslänglich unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen". Die Verpflichtung ist nach dem Vertrag "für den Zeitraum nicht zu erbringen, für den solche Pflege- und Betreuungsleistungen objektiv nicht vom Erwerber selbst, sondern nur durch hierzu speziell ausgebildete Personen erbracht werden können oder ein Heimaufenthalt des Veräußerers aus anderen, in der Person des Veräußerers liegenden Gründen unumgänglich ist". Weiter heißt es im Vertrag, soweit und solange die Verpflichtung zu Pflege und Betreuung aus den genannten Gründen entfalle, seien der Kläger und seine Schwester verpflichtet, "die Kosten der Pflege und Betreuung durch dritte Personen oder die Kosten des Heimaufenthalts je zur Hälfte zu tragen, sofern die eigenen Einkünfte und das Vermögen des Veräußerers unter Berücksichtigung eines auch ansonsten angemessenen Lebensunterhaltes zur Bestreitung dieser Kosten nicht ausreichen."

Nach Aufnahme der Hilfeempfängerin in ein Pflegeheim am 00.00.00 beantragte diese die Übernahme ungedeckter Heimkosten aus Sozialhilfemitteln, was der Beklagte zunächst unter Hinweis auf einen sich aus dem notariellen Vertrag ergebenden Anspruch gegenüber den Kindern ablehnte. Einen erneuten Antrag begründete die Hilfeempfängerin u.a. mit dem Hinweis auf eine zwischenzeitlich gegen den hiesigen Kläger vor dem LG M erhobene Klage auf Übernahme ungedeckter Heimkosten (Az. 1 O 53/06). Durch Beschluss vom 25.10.2006 ordnete das LG ihm gegenüber an, ab dem 01.11.2006 monatlich 350.- Euro an die Hilfeempfängerin zu zahlen (Az. 1 O 288/06). Mit Bescheid vom 22.11.2006 bewilligte der Beklagte sodann der Hilfeempfängerin für die Zeit ab dem 04.04.2006 Hilfe zur Pflege gegen Kostenersatz (§ 19 Abs. 5 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - Sozialhilfe, SGB XII).

Nachdem der Beklagte im Dezember 2008 vom Tod der Hilfeempfängerin und von der Aussetzung des Verfahrens vor dem Landgericht gem. § 246 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erfahren hatte, stellte er die eigenen Leistungen ein und leitete mit Bescheid vom 11.02.2009 den Anspruch der Hilfeempfängerin gegenüber dem Kläger dem Grund nach bis zur Höhe der Sozialhilfeaufwendungen auf sich über. Er führte aus, bei rechtzeitiger Befriedigung des Anspruchs aus dem notariellen Vertrag hätte insoweit keine Sozialhilfe gewährt werden müssen. Seinen am 11.03.2009 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, ein anderweitig rechtshängiger Anspruch könne nicht mehr übergeleitet werden. Außerdem komme eine Überleitung nach dem Tod der Hilfeempfängerin ohnehin nicht mehr in Betracht. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.05.2009 (zugestellt am 04.06.2009) zurück. Er führte aus, auf das tatsächliche Bestehen eines Anspruchs komme es für die Überleitungsanzeige nicht an. Es genüge, dass ein solcher Anspruch bestehen könne. Anderweitige Rechtshängigkeit stehe nicht entgegen, da der Sozialhilfeträger nach § 265 ZPO in den Prozess eintreten könne. Angesichts des öffentlichen Interesses an einer sparsamen Verwendung der Sozialhilfe...

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