Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Einkommen des Stiefvaters auf den Bedarf des Kindes bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB 2 in der seit 1. 8. 2006 gültigen Fassung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Mit ihr wollte der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung von Ehegatten und nichtehelichen Partnern beseitigen, von denen jeweils einer ein hilfebedürftiges Kind mit in die Bedarfsgemeinschaft bringt.
2. Die geltende Regelung verstößt nicht gegen das aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG resultierende Gebot zur Sicherung des Existenzminimums im Hinblick auf das Stiefkind. Das Gebot verlangt nicht, für jede erdenkliche Konstellation staatliche Leistungen bereitzuhalten.
3. Die Regelung enthält keinen Verstoß gegen Art. 6 GG, weil die Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 GG nicht verletzt wird. Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 GG ist nicht verletzt, weil sich aus ihm keine Pflicht ergibt, vergleichbare Probleme im SGB 2 und SGB 12 gleich zu regeln.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob auf den Bedarf der Klägerinnen zu 2) und 3) das Einkommen des Ehemanns der Klägerin zu 1) angerechnet werden kann, der nicht der leibliche Vater der Klägerinnen zu 2) und 3) ist.
Die am 00.00.1969 geborene Klägerin zu 1) ist seit dem 00.00.2001 mit Herrn H. verheiratet. Im Haushalt der Klägerin zu 1) und ihres Ehemannes leben auch die beiden Kinder der Klägerin zu 1), die am 00.00.1990 und 00.00.1994 geborenen Klägerinnen zu 2) und 3). Der Aufenthalt des leiblichen Vaters der Klägerinnen zu 2) und 3) ist unbekannt.
Die Klägerinnen und Herr H. leben seit dem 01.06.2005 in einem 130 m² großen Einfamilienhaus zur Miete. Die Nettokaltmiete beträgt 730,00 EUR, die monatliche Nebenkostenpauschale ohne Heizkosten 100,00 EUR und die monatlichen Heizkosten seit Mitte 2006 151,00 EUR. Die Klägerin zu 1) erhält für die Klägerinnen zu 2) und 3) Kindergeld in Höhe von 308,00 EUR monatlich. Sie geht außerdem einer geringfügigen Beschäftigung bei der Caritas nach, die mit ca. 200,00 EUR netto im Monat entlohnt wird. Herr H. ist bei der X. GmbH beschäftigt. Die Höhe seines monatlichen Nettoeinkommens wechselt, lag 2007 aber nie unter 1.939,60 EUR, zum Teil deutlich darüber.
Die Klägerin zu 1) beantragte bereits 2003 mangels Unterhaltsleistungen des leiblichen Vaters der Klägerinnen zu 2) und 3) für diese Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), die auch gewährt wurden. Im Rahmen der erstmaligen Beantragung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - legte die Klägerin zu 1) eine auf den 09.04.2001 datierte und unterschriebene Erklärung des Herrn H. mit folgendem Inhalt vor: "Unsere beabsichtigte Eheschließung erfolgt unter der Voraussetzung, dass ich den Kindern meiner künftigen Frau aus erster Ehe nicht zu Unterhaltsleistungen verpflichtet bin. Ich werde auch keine erbringen." Nachdem die Beklagte zunächst Leistungen für die Klägerinnen mit Verweis auf das Einkommen des Herrn H. abgelehnt hatte, gewährte sie nach einem entsprechenden rechtlichen Hinweis in einem von den Klägerinnen angestrengten Verfahren vor dem erkennenden Gericht (S 15 AS 37/05) SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung des Einkommens des Herrn H. nur im Rahmen einer Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II. Zum 01.06.2005 zogen die Klägerinnen und Herr H. in das derzeit bewohnte Haus. Mit Schreiben vom 21.12.2005 wies die Beklagte die Klägerin zu 1) darauf hin, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen seien. Für einen Vier-Personen-Haushalt sei lediglich eine 90 m² große Wohnung zu einem Preis von 455,00 EUR angemessen. Soweit die Unterkunftskosten nicht bis zum 01.07.2006 verringert würden, würden nur noch die angemessenen Unterkunftskosten übernommen werden. Bis November 2006 gewährte die Beklagte weiter Leistungen an die Klägerinnen. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerinnen vom 18.12.2006 hin forderte die Beklagte mit Hinweis auf eine Gesetzesänderung zum 01.08.2006 aktuelle Einkommensbelege des Herrn H. an. Die Klägerin zu 1) erklärte unter dem 15.12.2006, dass ihr Ehemann keinen Unterhalt für ihre beiden Kinder zahle, da es nicht seine Kinder seien. Mangels Vorlage der angeforderten Unterlagen versagte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 02.01.2007 Leistungen ab Dezember 2006 nach §§ 60, 66 SGB I. Nach Widerspruch der Klägerinnen vom 09.01.2007 und Vorlage der angeforderten Einkommensbescheinigungen des Herrn H.lehnte die Beklagte den Fortzahlungsantrag der Klägerinnen mit Bescheid vom 02.02.2007 ab. Unter Berücksichtigung des Einkommens des Herrn H. bestehe keine Hilfebedürftigkeit. Bei der zugrundeliegenden Leistungsberechnung berücksichtigte die Beklagte Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 721,72 EUR. Am 15.02.2007 legten die Klägerinnen hiergegen Widerspruch ein. Das Einkommen des Herrn H. sei nicht auf den Bedarf der Klägerinnen anzurechnen. Die ...