Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Anspruch auf Kostenerstattung bei abgelehnter Kostenübernahme einer zur Behandlung nicht zugelassenen Arznei. Kostentragung einer nicht zugelassenen Arznei bei einer Augenerkrankung
Orientierungssatz
1. Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB 5 bei Verweigerung der Übernahme von Behandlungskosten durch die gesetzliche Krankenversicherung ist nur für solche Behandlungen möglich, die auch zum Leistungsangebot der Krankenkasse gehören. Eine Kostenerstattung für eine Arznei, die für die vorgenommene Behandlung nicht zugelassen ist (sog. Off-Label-Use), scheidet deshalb aus, soweit nicht ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneimitteltherapie besteht.
2. Bei einem Off-Label-Use der Arznei Lucentis® bei einer myope chorioidalen Neovaskularisation (myope CNV) besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für fünf intravitreale Injektionen von Lucentis® in das linke Auge in Höhe von 5.269,75 EUR.
Die 0000 geborene Klägerin leidet an Myopia magna, das heißt starker Kurzsichtigkeit, und an einer choriodalen Neovaskularisation (CNV), das ist eine krankhafte Neubildung von Gefäßen im Auge. Als Ursache des Wachstums der Gefäße gilt ein Botenstoff namens VEGF (=vascular endothelial growth factor).
Wegen einer kurz zuvor aufgetretenen subjektiven Sehverschlechterung beantragte die Klägerin am 06.07.2010 über das Augencentrum Jülich die Genehmigung von drei intravitrealen Injektionen von Lucentis® oder Avastin® in das linke Auge. Gestützt auf eine ablehnende Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 08.07.2010 eine Avastin®-Behandlung ab; zu Lucentis® enthält der Bescheid keine Aussage.
Am 09.07.2010 wurde die Klägerin in der Augenklinik der RWTH Aachen untersucht; nach einem Aufklärungsgespräch unterschrieb sie eine Erklärung, dass sie mit der Durchführung der intravitrealen Injektion mit ausgeeinzeltem Lucentis® einverstanden sei. Am 12.07.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Lucentis® durch RWTH-Augenklinik. Sie trug vor, ihr behandelnder Arzt habe sie wegen der Komplexität und Dringlichkeit der Behandlung als Notfall in das Universitätsklinikum überwiesen; nach Abschluss einer umfangreichen Untersuchung hätten Prof. Dr. X. und Dr. E. dringend zur der Behandlung mit Lucentis® geraten, anderenfalls ihre Krankheit nach kurzer Zeit zur Blindheit des linken Auges führen werde. Die Klägerin fügte dem Antrag eine Bescheinigung der RWTH-Augenklinik vom 09.07.2010 bei; darin heißt es, bei der Klägerin liege am linken Auge (LA) "eine feuchte altersbedingte Makuladegeneration (ICD 10 H35.3)" und eine "myope CNV" vor. Weiter heißt es in der Bescheinigung der Augenklinik, die vorliegende Erkrankung führe zu einer zunehmenden Sehverschlechterung mit drohender Erblindung und Verlust lebenspraktischer Fähigkeiten; derzeit liege die Sehschärfe auf dem betroffenen Auge bei 0,5; in der Angiographie habe sich eine deutliche Leckage gezeigt; die Injektion von Lucentis® in den Glaskörperraum sei "nach heutigem Wissensstand Therapie der Wahl". Die Bescheinigung vom 09.07.2010 findet sich auf einem Standardvordruck der Klinik für einen Antrag auf ambulante Injektion von Lucentis® bei feuchter altersbedingter Makuladegeneration (AMD); individuelle Diagnosen und Befunde der Klägerin sind handschriftlich hinzugefügt; die Erläuterungen in dem Formular beziehen sich ausschließlich auf die Behandlung der feuchten AMD, u.a. mit dem Hinweis, dass die intravitreale Lucentis®-Therapie als Behandlung der ersten Wahl bei der Therapie der feuchten AMD gelte; Lucentis® sei für diese Indikation zugelassen, andere Anti-VEGF-Wirkstoffe wirkten schlechter (Macugen®) oder seien nicht zugelassen (Avastin®) oder hätten ihre Wirksamkeit nicht in vergleichbaren Studien nachgewiesen. Abschließend werden in der Bescheinigung die Kosten für die Lucentis® Anwendung im Auge wie folgt beziffert: Medikamentenkosten 744,83 EUR pro Injektion, Operationskosten 309,15 EUR pro Injektion, Nachuntersuchung 80,00 EUR, insgesamt 1.133,97 EUR pro Injektion.
In einer von der Beklagten veranlassten Stellungnahme des MDK erklärte die beratende Ärztin Dr. N. am 12.07.2010, bei der Klägerin liege keine feuchte AMD vor, sondern eine myope CNV; weder Avastin® noch Lucentis® sei zur Behandlung der CNV bei Myopie zugelassen; als vertragsärztliche Behandlungsalternative stehe die Photodynamische Therapie (PDP) mit Verteporfin zur Verfügung.
Dieses Ergebnis teilte die Beklagte der Klägerin telefonisch am 12.07.2010 mit und erklärte ihr, es bleibe - auch in Bezug auf eine Behandlung mit Lucentis® - bei der Ablehnung wie im Bescheid vom 08.07.2010.
Am 13.07.2010 stellte sich d...