Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für sich selbst. Unkenntnis des Aufenthaltsorts der Eltern. missbräuchliche Unkenntnis. fehlende Bemühungen zur Ermittlung des Aufenthaltsorts. Nichteinschaltung des Suchdienstes des Roten Kreuzes. Zweifel an Unkenntnis. keine Erforderlichkeit der Ermittlung einer konkreten Zustellungsadresse
Orientierungssatz
1. Kennt ein geflüchteter junger Mensch den Aufenthaltsort eines im Herkunftsland zurückgebliebenen Elternteils nicht, ist in der Regel davon auszugehen, dass er zumindest alle ihm zur Verfügung stehenden, mit keinem hohen Aufwand und keiner Gefährdung verbundenen Möglichkeiten nutzt, um ein Lebenszeichen zu erhalten.
2. Geschieht dies nicht und gibt es auch keine Anhaltspunkte für ein fehlendes Interesse am Schicksal des Elternteils, lässt sich als Erklärungsmöglichkeit eines solchen Verhaltens nicht ausschließen, dass der Aufenthalt tatsächlich nicht unbekannt ist.
3. Der Aufenthalt der Eltern iS des § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 BKGG 1996 verlangt keine dem deutschen Zustellungsrecht genügende Adresse.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Kindergeld für sich selbst.
Der 1996 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im Oktober 2015 nach Deutschland ein. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. März 2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Am 26. April 2016 wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seit dem 18. September 2019 absolviert der Kläger eine Berufsausbildung zum Fachinformatiker.
Der Kläger beantragte im November 2019 die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Im Antrag gab er an, sein Vater sei verstorben und der Aufenthaltsort seiner Mutter sei ihm nicht bekannt. Es habe zuletzt am 1. Juli 2019 Kontakt per Telefon, E-Mail oder SMS zu ihr bestanden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, in dem er angab, bereits seit einem Jahr keinen Kontakt mehr zu haben.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2020 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Anspruch auf Kindergeld für sich selbst habe nur, wer Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne. Ein Kindergeldanspruch bestehe bereits dann nicht, wenn der Antragsteller es grob fahrlässig oder vorsätzlich unterlasse, Hinweisen über den Aufenthalt der Eltern nachzugehen. Der Kläger habe nicht, wie erforderlich, glaubhaft dargelegt, dass er trotz Bemühungen den Aufenthaltsort seiner Eltern nicht kenne. Die Angabe im Widerspruchsschreiben, seit einem Jahr keinen Kontakt zur Mutter zu haben, stimme nicht mit den bisherigen Angaben überein. Der bloße Aufenthalt der Eltern im Ausland, verbunden mit dem Unvermögen, dem Kind Unterhalt zu leisten, begründe keinen Anspruch des Kindes auf Kindergeld für sich selbst.
Dagegen richtet sich die am 14. Februar 2020 erhobene Klage. Der Kläger trägt vor, er habe zuletzt im Januar 2019 telefonischen Kontakt zu seiner Mutter gehabt, die ihm die Zerstörung ihres Hauses und die Flucht nach Süden mitgeteilt habe. Im Juli 2019 habe ihm seine in Kanada lebende Schwester vom Erhalt einer E-Mail der Mutter berichtet. Diesen Sachverhalt habe er mit dem letzten Kontakt gemeint. Seitdem bestehe kein Kontakt mehr. Auf eine E-Mail der Schwester sei keine Antwort der Mutter mehr erfolgt. Er legt eine Stellungnahme seiner Schwester vor, in der diese den Sachverhalt bestätigt und außerdem angibt, Versuche, andere Dorfbewohner zu erreichen, seien ergebnislos geblieben, da das Telefonnetz fast überall zerstört und die vorhandenen Mobilnummern nicht mehr aktuell seien. Der Kläger hat auf Nachfrage erklärt, im Februar/März 2019 mit einem Schulfreund telefoniert zu haben, dessen Erkundigungen bei anderen Einwohnern jedoch keine weiteren Informationen über den Verbleib der Mutter ergeben hätten, und eine Suchanfrage beim Deutschen Roten Kreuz nicht gestellt zu haben. Von dieser Möglichkeit habe er erst durch die gerichtliche Anfrage vom 27. Oktober 2020 erfahren. Eine baldige Beendigung des vorliegenden Verfahrens solle nicht durch eine u. U. langwierige Suche hinausgezögert werden. Zudem ende der Kindergeldanspruch ohnehin am 15. Januar 2021 mit Vollendung des 25. Lebensjahres und es sei unmöglich, bis dahin eine Suchanfrage zu stellen oder gar die Mutter zu finden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom September 2019 aufzuheben sowie seinem Antrag auf Bewilligung von Kindergeld stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, der Kindergeldanspruch sei mangels ausreichender Nachweise über Bemühungen des Klägers, den Aufenthaltsort seiner Mutter zu ermitteln, ausgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht hat nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten sich damit ein...