Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Genehmigungsfiktion bei nicht fristgerechter Entscheidung. Hinausschieben des Eintritts der Genehmigungsfiktion. keine Sanktionierung hinreichend begründeter Verzögerungen. Erforderlichkeit der Leistung. Notwendigkeit eines fiktionsfähigen Antrags
Orientierungssatz
1. Der Regelungszweck, Bewilligungsverfahren der Krankenkassen zu beschleunigen, zielt nicht darauf ab, hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren. Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der Krankenkasse prognostizierte, tagegenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die Krankenkasse zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion hinreichende Gründe mit der geänderten tagegenauen Prognose erneut - gegebenenfalls wiederholt - mitteilen. Erst wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der letzten, hinreichend begründeten Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).
2. Auch der Kostenerstattungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion setzt voraus, dass sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine "…erforderliche…" Leistung selbst beschaffen. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen (vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = aaO).
3. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs 1 SGB 10 hinreichend bestimmt ist (vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = aaO).
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2015 verurteilt, der Klägerin von den für die Liposuktionsoperationen entstandenen Kosten insgesamt 16.904,36 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt 90 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung sämtlicher Kosten im Zusammenhang mit bereits durchgeführten Liposuktionen an beiden Armen, Unterschenkeln, Oberschenkelvorderseiten und Oberschenkelrückseiten.
Sie ist bei der beklagten Krankenkasse versichert und beantragte am 8. Dezember 2014 unter Vorlage einer gutachtlichen Befürwortung der Dres. O. und H. von der Praxis “…„ in E. vom 4. Dezember 2014 die Übernahme der Kosten für vier “…ambulante…„ Liposuktionen in Höhe von jeweils 3.995,00 Euro zuzüglich eines allgemeinen Pflegesatzes in Höhe von 231,09 Euro für die “…stationäre…„ Überwachung bis zum Tag nach der Operation in einer Anästhesiologischen Tagesklinik. Die Beklagte teilte ihr mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 mit, sie müsse die Meinung eines medizinischen Sachverständigen einholen, und forderte bei ihr mit Schreiben vom 23. Januar 2015 weitere Unterlagen an. Die Klägerin machte daraufhin mit Schreiben vom 27. Januar 2015 geltend, die Frist von fünf Wochen nach § 13 Abs. 3a S. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in der seit 26. Februar 2013 geltenden Fassung sei bereits am 12. Januar 2015 abgelaufen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Thüringen e.V. verneinte sodann am 26. Februar 2015 die medizinische Notwendigkeit der begehrten Operationen. Die Beklagte lehnte daher mit Bescheid vom 10. März 2015 die Übernahme der Kosten ab. Die Klägerin legte dagegen mit am 19. März 2015 eingegangenem Schreiben Widerspruch ein und stützte diesen unter anderem erneut auf den Fristablauf. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 29. Mai 2015 zurück.
Die Klägerin hat am 17. Juni 2015 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei bereits wegen des Fristablaufes zur Erstattung der im Zusammenhang mit den Operationen am 13. Mai 2015, 19. Juni 2015, 31. August 2015 und 12. Oktober 2015 entstandenen Kosten für die ärztlichen Leistungen sowie für die Fahrten nach bzw. die Übernachtungen in E. (bzw. M./R.), für Arznei- und Heilmittel sowie für Laborleistungen in Höhe von insgesamt 19.036,27 Euro verpflichtet. Sie macht zudem geltend, es habe sich angesichts der postoperativen Überwachungen um eine stationäre Leistungserbringung gehandelt. Nach § 137c Abs. 3 S. 2 SGB V in der seit dem 23. Juli 2015 geltenden Fassung dürften neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wie die Liposuktion im Rahmen einer Krankenhausbehandlung erbracht werden, wenn für sie noch kein Überprüfungsantrag nach Abs. 1 S. 1 gestellt wurde bzw. die Be...