Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Tätigwerden im Vorverfahren. Anrechnung der Beratungshilfegebühr auf gerichtliche Gebühr. RVG-VV Nr 3102 und 3103 sind lex specialis gegenüber RVG-VV Nr 2503 Abs 2
Orientierungssatz
1. RVG-VV Nr 2503 Abs 2 wird vom Gericht so verstanden, dass hier berücksichtigt werden soll, dass der Anwalt mit der Thematik im Rahmen der Beratungshilfe bereits befasst war und deshalb einen gebührenrechtlich durch die nachfolgende Anrechnung zu erfassenden Vorteil daraus hat. Denn er ist in dieser Situation für das nachfolgende Gerichtsverfahren durch das aus der Beratungshilfe bereits erlangte Wissen und Kennen besser gestellt, als wenn er mit der Angelegenheit erstmals kurz vor Klagerhebung konfrontiert würde. Für das Klageverfahren erhält er deshalb eine (um die anteilige Beratungshilfe) verminderte Vergütung.
2. Den gleichen Mechanismus regelt der Gesetzgeber spezialgesetzlich für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit über die Gebührentatbestände RVG-VV Nr 3102 und RVG-VV Nr 3103. Die allgemeine Anrechnungsregelung in RVG-VV Nr 2503 Abs 2 wird durch diese Sondervorschriften als leges speciales verdrängt.
Gründe
I. Streitig ist die Höhe des dem beigeordneten Rechtsanwalt zustehenden Vorschusses aus der Staatskasse.
Der Erinnerungsführer (Ef) wurde mit Beschluss vom 20.08.2007 seiner Mandantin als Rechtsanwalt beigeordnet. Mit der Klage vom März 2005 macht diese die Zahlung einer Witwenrente ohne Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte geltend. Der Ef hat Sachanträge gestellt und das Begehren der Klägerin auf einer Seite begründet. Mit Beschluss vom 10.12.2007 wurde auf übereinstimmende Anträge der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss der verfassungsgerichtlichen Überprüfung angeordnet. Zwischenzeitlich ist das Verfahren als nach der Aktenordnung erledigt ausgetragen.
Mit Schriftsatz vom 23.01.2009 beantragte der Ef die Gebührenfestsetzung im Wege des Prozesskostenhilfevorschusses und machte eine Rahmengebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) von 250 EUR abzüglich der Anrechnung von 35 EUR gemäß Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG, zuzüglich Entgelt für Post - und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV RVG) von 20 EUR und Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 44,65 EUR, insgesamt 279,65 EUR geltend. Die Kostenbeamtin setzte den Vorschuss auf 124,95 EUR fest. Abweichend vom Antrag des Ef legte sie, da der Ef bereits im Vorverfahren tätig gewesen war, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG zu Grunde und bestimmte diese auf 120 EUR.
In seiner Erinnerung gegen diesen Beschluss rügte der Ef eine quasi "doppelte Anrechnung" durch Anwendung der Nrn. 3103 und 2503 VV RVG. Im Übrigen sei die Mittelgebühr angebracht.
II. Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet. Dem Ef steht ein Vorschuss ohne Anrechnung der hälftigen Beratungshilfe gemäß Nr. 2503 VV RVG zu. Im Übrigen war die Erinnerung unbegründet und deshalb zurückzuweisen.
Rechtsgrundlage für den beantragten Vorschuss auf die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt ist § 47 RVG. Danach kann der Rechtsanwalt, dem wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Staatskasse zusteht, für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern.
1. Der Ef hat Anspruch auf eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG. Dies ist tatbestandlich zwingend dadurch bedingt, dass er für seine Mandantin in dieser Angelegenheit bereits im Verwaltungsverfahren bzw. im weiteren der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren tätig war. Es ist allgemein anerkannt und unstreitig, dass mit diesem Gebührentatbestand und der darin vorgesehenen verminderten Rahmengebühr berücksichtigt werden soll, dass dem Bevollmächtigte aufgrund früherer Befassung mit der streitgegenständlichen Thematik die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erleichtert wird (Synergieeffekt). Für die darüber hinausgehende Interpretation des Ef, dass der Gesetzgeber den reduzierten Gebührenrahmen nur für den Fall vorgesehen habe, dass der Anwalt die anlässlich der vorausgegangenen Tätigkeit fällig werdenden Gebühren (Nr. 2400/2401 VV RVG) auch tatsächlich erhalten habe, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Soweit er sich deswegen auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsens beruft ist dies schon deshalb unbehelflich, weil in dem dortigen Verfahren nicht über die speziell für das sozialgerichtliche Verfahren entwickelten Gebührentatbestände Nr. 3102 bzw. 3103 VV RVG zu befinden war.
Der Gesetzgeber knüpft für den reduzierten Gebührenrahmen mit der Nr. 3103 VV RVG unzweifelhaft an das " Tätig - gewesen - sein" des Rechtsanwalts in einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren an. Die Anwendungsbereiche der Nrn. 3102 VV RVG und 3103 VV RVG sind folglich allein nach den tatsächlichen Verhältnissen abzugrenzen. Für den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt kommt...