Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Summenbescheid nicht allein bei Aufzeichnungspflichtverletzung des Arbeitgebers zulässig. Ermittlungspflicht des Rentenversicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Allein die Verletzung von Aufzeichnungspflichten durch den Arbeitgeber führt nicht dazu, dass bereits ein Summenbescheid nach § 28f Abs 2 SGB IV erlassen werden darf, sondern der Rentenversicherungsträger ist trotzdem vor Erlass eines Summenbescheides zu Ermittlungen nach § 20 SGB X verpflichtet, wenn dies die Verhältnismäßigkeit nicht überschreitet (vgl LSG Berlin vom 9.7.2003 - L 9 KR 373/01).
2. Wenn zumindest teilweise hinsichtlich einzelner Betroffener eine personenbezogene Zuordnung erfolgen kann, ist ein Summenbescheid insoweit nicht zulässig (vgl BSG vom 17.12.1985 - 12 RK 30/83 = BSGE 59, 235 = SozR 2200 § 1399 Nr 16, LSG München vom 21.10.2013 - L 5 R 605/13 B ER).
Tenor
I. Der Bescheid vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 18. April 2012 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.528.044,61 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitgegenstand ist eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV).
Mit Bescheid vom 10.08.2011 erhob die Beklagte gegen den Kläger eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 1.528.044,61 €. In dieser Forderung sind Säumniszuschläge in Höhe von 771.664,50 € enthalten.
Die Beklagte stützte sich dabei auf die Ermittlungen des Hauptzollamtes C-Stadt, Sachgebiet Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Der Kläger wurde nach § 266a Strafgesetzbuch (StGB) strafrechtlich verurteilt (Urteil des LG D-Stadt).
Der Kläger und Frau K. waren als Vertriebspartner der Firma V. tätig. Sie sollten Verträge über Telekommunikationsdienstleistungen und Stromversorgung sowie Zeitschriftenabonnements durch den Einsatz von Werbern an Privatpersonen vermitteln.
Die Beklagte stellte fest, dass die eingesetzten Werber Arbeitnehmer des Klägers waren. Die Beklagte verwies insoweit auch auf die Feststellungen des Landgerichts D-Stadt. Die Werber seien in den Betrieb des Klägers eingegliedert gewesen und hätten Weisungen unterlegen. Sie hatten bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten und seien persönlich vom Kläger abhängig gewesen. Da die Arbeitszeit von Montag bis Samstag jeweils ganztägig dauerte, hätten diese keine Möglichkeit gehabt, einer weiteren Beschäftigung nachzugehen. Außerdem hätten sie kein unternehmerisches Risiko getragen und kein eigenes Kapital eingesetzt. Im Wesentlichen hatten sich die Werber an die vom Kläger bzw. den Teamleitern gemachten Vorgaben zu halten. Die formelle Bezeichnung des Vertragsverhältnisses als selbstständiger Handelsvertretervertrag führe nicht zum Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit. Insgesamt würden daher die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung deutlich überwiegen. Hinsichtlich der Berechnung der Beiträge wurde festgestellt, dass die an die jeweilig beschäftigten Werber gezahlten monatlichen Provisionen als Nettoentgelte zugrunde gelegt wurden. Die entsprechenden Unterlagen für die monatlichen Zahlungen an die Werber seien von der Firma V. zur Verfügung gestellt worden. Die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens aufgefundenen Abrechnungen der Provision zwischen dem Kläger und der Firma V. seien jedoch unvollständig, Gleiches gelte für die Unterlagen der eingesetzten Werber. Deshalb habe auf die von der Firma V. zur Verfügung gestellten Unterlagen zurückgegriffen werden müssen, um die Sozialversicherungsbeiträge zu ermitteln. Auf den Abrechnungen der Firma V. seien nicht nur die für den Kläger selbst ausgezahlten Provisionen erkennbar, sondern auch die von der Firma V. für die Untervertriebspartner (Werber) gezahlten Provision. Diese seien in den Abrechnungen jeweils unter dem Punkt "ihre Vertreter" betragsmäßig ausgewiesen. In der Anlage zum Bescheid der Beklagten wurden keine Werber namentlich bezeichnet, sondern lediglich für "namentlich unbekannte Personen" Beiträge erhoben. Bei dem Bescheid handelt es sich daher um einen Summenbeitragsbescheid nach § 28f Abs. 2 SGB IV.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Eine Widerspruchsbegründung erfolgte nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nachdem der Widerspruch nicht begründet worden sei, sei nur eine Prüfung nach Aktenlage möglich. Der angefochtene Bescheid sei jedoch nach der Sach- und Rechtslage nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die strafgerichtlichen Entscheidungen des Landgerichts D-Stadt und des Bundesgerichtshof (BGH) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger Klage. Die Klage wurde im Wesentlichen damit begründet, dass zum einen die Handelsvertreter selbständig gewesen seien. Außerdem liege eine offensichtlich unzutreffende Schadensermittlung vor. Die Beklagte habe sich nicht die Mühe gemacht, die Handelsvertreter nach ihrer Zahl und namentlich festzustellen, obwohl di...