Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. häusliche Pflege. häusliche Pflegehilfe. körperbezogene Pflegemaßnahmen. gleichzeitige Erbringung häuslicher Krankenpflege durch dieselbe Pflegekraft. Abrechnung nach einem einheitlichen Stundensatz. Kostenabgrenzung. Bindung des Sozialhilfeträgers an die Vergütungsvereinbarung nach § 89 SGB 11

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Abrechnung körperbezogener Pflegemaßnahmen erfolgt auch dann auf der Grundlage eines nach dem SGB XI vereinbarten Stundensatzes, wenn bei einer 24-Stunden-Pflege medizinische Behandlungspflege und körperbezogene Pflegemaßnahmen durch dieselbe Pflegekraft erfolgen.

2. Gemäß § 76a SGB XII besteht auch in diesem Fall eine Bindungswirkung des Sozialhilfeträgers an die Vergütungsvereinbarung nach § 89 SGB XI.

3. Auf die mit der gesetzlichen Krankenkasse geschlossene Vergütungsvereinbarung gemäß § 132a SGB V ist nicht abzustellen.

4. Weder das Urteil des BSG vom 17.6.2010 - B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11 noch die Kostenabgrenzungs-Richtlinie enthalten eine Aussage dahingehend, dass in diesem Fall die Abrechnung nach einem einheitlichen Stundensatz erfolgen müsste.

 

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 19. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Mai 2021 verurteilt, dem Kläger ab 13. Januar 2021 Leistungen der Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung der für den jeweiligen Zeitraum in den Verträgen gemäß § 89 SGB XI über die Vergütung von Pflegesachleistungen gemäß § 36 SGB XI nach Stunden vereinbarten Vergütungen zu gewähren, soweit diese nicht durch Pflegesachleistungen der Beigeladenen zu 1. bereits abgedeckt sind.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von ergänzenden Leistungen der Hilfe zur Pflege über die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung hinaus. Insbesondere geht es darum, nach welcher Vergütungsregelung die im Rahmen einer 24-Stunden-Intensivpflege anfallenden Grund- bzw. Intensivpflegeleistungen abzurechnen sind und ob sich danach in Ergänzung zu den seitens der Pflegeversicherung abgerechneten Pflegesachleistungen noch ein Eigenanteil ergibt, der im Rahmen der Hilfe zur Pflege vom Beklagten zu übernehmen wäre.

Der 1974 geborene Kläger ist nach einem 2020 im Urlaub erlittenen Mückenstich an einer Infektion erkrankt und seitdem Wachkomapatient. Er wird durch seine Ehefrau als gesetzliche Betreuerin rechtlich vertreten.

Am 23.12.2020 beantragte seine Ehefrau für ihn Leistungen der Hilfe zur Pflege für die durch den Pflegedienst F GmbH (Beigeladene zu 2) in einer Wohngemeinschaft erbrachten Pflegeleistungen. Dazu wurde mit Wirkung zum 13.01.2021 zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2 ein Pflegevertrag für Intensivpflege abgeschlossen, mit dem sich die Beigeladene zu 2 als Pflegedienst verpflichtete, rund um die Uhr und an allen Tagen Pflegekräfte im Haushalt des Klägers einzusetzen und die Leistungen durch geeignete Pflegekräfte in der vom Kläger bewohnten Wohngemeinschaft zu erbringen. Der Pflegedienst stellt danach sicher, dass rund um die Uhr und an allen Tagen mindestens eine geeignete Pflegekraft in der Wohngemeinschaft anwesend ist. Die Pflegekräfte erbringen dabei Leistungen der Behandlungspflege nach § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sowie Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 Sozialgesetzbuch Elftes Buch SGB XI) gemäß den nachstehenden Regelungen, soweit diese vereinbart sind. Hinsichtlich der Vergütung ist in § 5 des Vertrags geregelt, dass der Pflegedienst für die körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung die mit den Pflegekassen bzw. Sozialhilfeträgern ausgehandelten sowie durch Schnittstellenentscheidungen festgesetzten Entgelte, entsprechend der jeweils gültigen Entgeltverzeichnisse und Vergütungsvereinbarungen berechnet. Ausgehend von einem Pflegegrad 5 ist darin für körperbezogenen Pflegemaßnahmen ein Satz von 46,56 € pro Stunde (zuzüglich eines Ausbildungszuschlags von 3,83 %) ab 01.01.2021 vereinbart. Ärztlich verordnete und von der Krankenkasse genehmigte Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V werden nach § 4 des Vertrags als Sachleistungen erbracht und müssen vom Kläger mit Ausnahme der gegebenenfalls anfallenden gesetzlichen Zuzahlung und des Annahmeverzugs nicht gesondert vergütet werden. Da beim Kläger die Pflegekasse bis zur geltenden Sachleistungsgrenze im Umfang von 2 Stunden und 21 Minuten übernehme (1.995,00 € monatlich) errechne sich eine Zuzahlung des Klägers von 1.500,00 € - 1.600,00 € monatlich. Außerdem wurde mit der Beigeladenen zu 2 ein Mietvertrag über die Unterbringung des Klägers in einer Wohngemeinschaft der Beigeladenen unterschrieben. Die Krankenversicherung des Klägers rechnete gegenüber der Beigeladenen zu 2 Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Intensivpflege ambulanten Wohneinrichtungen) täglich 21,65 Stunden zu einem Stundensatz von 21,00 € ab.

Auf Nachf...

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