Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsstreit. Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Eingliederungshilfeträger. Kosten der Unterbringung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie. Vorrang-Nachrang-Verhältnis. keine Leistungskonkurrenz bei fehlendem Anspruch auf Eingliederungshilfe nach SGB 9 2018. Lernbehinderung. keine geistige Behinderung bei IQ über 70. körperliche Behinderung. kein hieraus folgender (gleichartiger) Eingliederungshilfebedarf. Alleinzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Allein das Bestehen einer körperlichen Behinderung, die aber keinen Eingliederungsbedarf begründet, führt nicht zu einem Konkurrenzverhältnis im Sinne von § 10 Abs 4 S 2 SGB VIII.
2. Die Unterbringung eines seelisch behinderten Kindes in einer Pflegefamilie ist bei einem fehlenden Teilhabebedarf aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung auch dann nicht als Leistung der Eingliederungshilfe vom Träger der Eingliederungshilfe zu übernehmen, wenn von der Pflegefamilie niedrigschwellige pflegerische Maßnahmen wie die Beachtung von Allergien oder die Behandlung einer Asthmaerkrankung mit einem Spray erbracht werden.
Orientierungssatz
1. Eine Lernbehinderung genügt allein noch nicht zur Annahme einer geistigen Behinderung (hier bei einem Intelligenzquotienten von leicht über 70).
2. Bei einer (hier im Vordergrund stehenden) Aufmerksamkeitsstörung sowie bei einer Entwicklungsstörung handelt es sich jeweils um eine seelische Störung.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung der vom Kläger seit 07.09.2020 übernommenen Kosten des Leistungsberechtigten A. in einer Pflegefamilie sowie die Übernahme des Falls durch den Beklagten.
Der 2009 geborene Leistungsberechtigte befand sich seit seiner Geburt zusammen mit seiner Mutter in einer gemeinsamen Unterbringung im Mutter-Kind-Heim "B1" in K-Stadt, nachdem seine Mutter Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedurfte. Allerdings gestaltete sich die Einhaltung der Regeln schwierig und die Mutter des Leistungsberechtigten war offensichtlich nicht ausreichend dazu in der Lage, sich an Absprachen zu handeln, weswegen ihr schließlich mit Beschluss des Amtsgerichts K-Stadt vom 29.07.2009 das Sorgerecht entzogen wurde. Mit Bescheid vom 29.07.2009 wurde für den Leistungsberechtigten gemäß § 33 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege in der Pflegefamilie C. bewilligt, wo der Leistungsberechtigte heute noch lebt. Nach mehreren Umzügen der Kindesmutter übernahm der Kläger nach zwei Jahren den Fall endgültig gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII.
Aus den Berichten über die Unterbringung ergibt sich, dass A. als Säugling an Neurodermitis und Rachitis gelitten hat. Außerdem wurde frühzeitig eine leichte Entwicklungsstörung festgestellt. Im Hilfeplangespräch vom 13.01.2011 wurden an gesundheitlichen Problemen neben fortbestehender Neurodermitis und Asthma im Wesentlichen eine undeutliche Sprache und der Verdacht auf ADHS angegeben. Im Testbericht der A-Schule vom 02.02.2011 wurde neben einer leichten kognitiven Entwicklungsverzögerung eine erhebliche Beeinträchtigung der Sprachentwicklung angegeben. A. brauche dringend eine kleine Gruppe und einen stark strukturierten Ablauf. Im Hilfeplangespräch vom 17.01.2012 wurde erstmals eine Allergie gegen Erdnüsse mitgeteilt. Aufgrund der stark eingeschränkten Aufmerksamkeitsspanne von ein bis zwei Minuten bestehe außerdem ein dringender Bedarf für heilpädagogische und ergotherapeutische Unterstützung. In einer Stellungnahme des Stadtjugendamtes K-Stadt vom 18.01.2012 wurde auf einen deutlich erhöhten Pflegeaufwand aufgrund der Allergien und der Neurodermitis hingewiesen. Deswegen sei gemäß § 33 SGB VIII eine erhöhte Pflegestufe 2 zu berücksichtigen. Ab 13.09.2012 wurde A. aufgrund des umfassenden sonderpädagogischen Förderbedarfs in die private schulvorbereitende Einrichtung der S-Hilfe an der A-Schule aufgenommen. In der Fortschreibung des Hilfeplans vom 05.06.2013 wurde trotz Fortschritten weiter ein Entwicklungsrückstand von mindestens einem Jahr festgestellt. A. benötige ständige Aufsicht/Aufmerksamkeit und bringe sich durch sein deutlich reduzierte Schmerzempfinden immer wieder in Gefahr. Die Beschwerden beim Asthma hätten sich leicht gebessert. Im Hilfeplan vom 10.07.2014 wurde auf motorische Ungeschicklichkeiten hingewiesen. Im Zusammenhang mit der anstehenden Einschulung wurden 2015 verschiedene Testungen durchgeführt und im Klinikum M-Stadt nach Durchführung verschiedener Testungen am 11.03.2015 eine Entwicklungsverzögerung mit Schwerpunkt im Bereich der Sprache festgestellt. Die Testung hinsichtlich einer Alkoholentzugsstörung blieb ohne eindeutigen Befund. An körperlichen Diagnosen wurden Neurodermitis, Asthma bronchiale sowie bekannte multiple Allergien bezeichnet. Vom 29.07.2015 bis 26.08.2015 befand sich A. in einer stationären Kinderheilbehandlung in der Klinik H-Stadt mit Sc...