Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. dauerhafte volle Erwerbsminderung. volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB 6. Dauerhaftigkeit. Unterstellung bei Personen im Eingangs bzw Berufsbildungsbereich einer WfbM
Leitsatz (amtlich)
Auch bei Personen im Eingangs- bzw Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen kann eine volle Erwerbsminderung auf Dauer unterstellt werden.
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2017 wird aufgehoben und der Beklagte wird dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin von August 2017 bis Juli 2018 Grundsicherung bei Erwerbsminderung zu bewilligen.
II. Es wird eine vorläufige monatliche Zahlung des Beklagten an die Klägerin in Höhe von 500 EUR von August 2017 bis Juli 2018 angeordnet.
III. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten; im Übrigen erfolgt keine Kostenerstattung.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Monate August 2017 bis Juli 2018.
Die 1997 geborene Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen "G", "B", "H" und "aG" und war zunächst in Pflegestufe II und ist inzwischen in Pflegegrad 4 eingestuft. Sie lebt in einem Haus mit ihren Eltern und bezog vom Beklagten ab August 2015 Grundsicherung bei Erwerbsminderung von zuletzt 796,71 EUR pro Monat. Seit 1. September 2017 besucht die Klägerin den Eingangs- bzw. Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM).
Nach Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 2017 die Grundsicherung ab August 2017 ein. Es stehe nicht fest, dass die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert sei. Dies sei bisher nicht durch den Rentenversicherungsträger festgestellt worden. Andere Kriterien für eine derartige Annahme würden nicht mehr anerkannt. Daher bestehe kein Anspruch mehr auf diese Leistung.
Der Widerspruch wurde damit begründet, dass eine volle und dauerhafte Erwerbsminderung der Klägerin liege eindeutig vor. Die Prüfung durch den Rentenversicherungsträger müsse schnellstmöglich in die Wege geleitet werden.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2017 zurückgewiesen. Solange nicht feststehe, dass die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert sei, bestehe kein Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Nach den seit Juli 2017 geltenden Verfahrensregelungen unterbleibe ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger. Bereits bislang sei angenommen worden, dass lediglich eine aufwändige Prüfung für in einer WfbM Beschäftigte vermieden werden solle. Aus der Neuregelung ergebe sich nichts anderes. Der Gesetzgeber stelle lediglich klar, dass kein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger erfolge, weil die Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung erst nach Beendigung des Berufsbildungsbereichs festgestellt werden könne. Bei der Klägerin sei bislang noch keine gutachterliche Feststellung zur Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung vorgenommen worden. Damit erfülle sie nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherung. Soweit diese bisher gewährt worden sei, sei dies ohne Rechtsgrundlage und damit unrechtmäßig erfolgt. Die Klägerin sei vielmehr als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft aus ihr und ihren Eltern dem grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis der Grundsicherung für Arbeitssuchende zuzuordnen. Demzufolge habe sie auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gegen den Sozialhilfeträger.
Dagegen ist für die Klägerin durch ihre Eltern und Betreuer am 16. Oktober 2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben worden. Die Prozessbevollmächtigten haben später argumentiert, auch nach der neuen Rechtslage sei davon auszugehen, dass bei der Klägerin eine volle und dauerhafte Erwerbsminderung gegeben sei. Zwar sei es nicht zu beanstanden, wenn der Eingangs- und Berufsbildungsbereich noch als ergebnisoffen angesehen werde. Dennoch dürften den Betroffenen nicht die Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung verwehrt werden. Es sei so, dass nur solche behinderten Menschen in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich gelangten, bei denen bereits offensichtlich sei, dass eine Übernahme in den ersten Arbeitsmarkt nicht infrage komme. In erster Linie werde daher festgestellt, ob für den betroffenen Menschen eine Unterbringung in der WfbM überhaupt möglich sei. Der Fachausschuss stelle daher in der Mehrzahl der Fälle nicht das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit fest. Die Betroffenen seien vor einer endgültigen Aufnahme in die WfbM von einem Anspruch auf Grundsicherung ausgeschlossen. Es wäre dann untersagt, eine Einzelfallentscheidung herbeizuführen, selbst wenn absehbar wäre, dass eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt offensichtlich nicht infrage kommt. Systematisch wäre dies ebenfalls widersprüchlich, weil für die anderen Fallgruppen ebenfalls vorgesehen sei, dass das Vorliegen ein...