Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Eilverfahren. vorläufiger Rechtsschutz zur Erlangung der weiteren Versorgung einer gesetzlich Krankenversicherten mit zulassungsfremd angesetzten Arzneimittel (Laif 600). Folgenabwägung. verfassungsrechtlicher Maßstab. lebensbedrohliche Situation
Orientierungssatz
Aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit der Rechtschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt, dass eine Folgenabwägung vorzunehmen ist, welche die verfassungsrechtlich geschützten Belange der Versicherten hinreichend zur Geltung bringt, wenn sich ein Antragsteller bei der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in einer lebenbedrohlichen Situation befindet.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis einschließlich April 2004 nach jeweiliger ärztlicher Verordnung mit dem Medikament Laif 600 zu versorgen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18. Dezember 2003 abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die 1962 geborene Antragstellerin leidet an einem Astrozytom Grad III; 1995, 1997 und April 2003 mussten deshalb Gehirnoperationen erfolgen. Nach einem Arztbrief des Dr. H vom 30. Oktober 2003 ist aufgrund des Ergebnisses einer Magnetresonanztomographie vom 27. Oktober 2003 ein Resttumor nicht auszuschließen. Der behandelnde Facharzt für Innere Medizin Dr. W verordnete nach den Angaben der Antragstellerin für die Zeit vom 14. April 2003 bis “voraussichtlich April 2004„ die tägliche Einnahme des Präparates Laif 600 mit dem Wirkstoff Hypericien, einem Johanniskraut-Trockenextrat, als antiangiogenetische Therapie. Die Antragsgegnerin lehnte einen Antrag auf Kostenübernahme nach Einholung eines Befundberichtes, einer Anfrage an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie nach Einholung einer Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) durch Bescheid vom 30. September 2002 in der Fassung eines Widerspruchsbescheides vom 21. November 2003 mit der Begründung ab, dass das Präparat Laif für die Therapie der bei der Antragsstellerin bestehenden Erkrankung nicht zugelassen sei. Bei einer Behandlung der Antragstellerin mit diesem Medikament handele es sich damit um einen indikationsfremden Einsatz (sog. Off-Label-Use), der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 19. März 2002 (Az. B 1 KR 37/00 R) nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen in Betracht käme. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Als Standardtherapie sei eine Operation mit anschließender Bestrahlung und ggf. medikamentöser Behandlung anzusehen. Indikationsbezogen sei das Präparat Temodal für die Behandlung zugelassen. Weiter seien die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben, da zulassungsfreie Studien fehlten.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit einer am 18. Dezember 2003 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage sowie mit einem am selben Tag eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Antragstellerin trägt zur Begründung vor, lediglich noch bis Ende Dezember 2003 mit dem Präparat Laif 600 versorgt zu sein. Ihre chemotherapeutische Behandlung mit dem Präparat sei jedoch bis mindestens einschließlich April 2004 erforderlich. Die bisher erfolgte medikamentöse Behandlung mit dem begehrten Präparat sei ohne Alternative im Hinblick auf ihre Arbeitsfähigkeit und relativ gesehen weitgehend nebenwirkungsfrei. Eine Umstellung auf Temodal sei unzumutbar und würde im Übrigen zu ihrem Ausfall von mindestens 4 Monaten im Arbeitsprozess führen. Die weitere Versorgung mit dem gewohnten Präparat sei lebenswichtig, da ansonsten - und zwar auch bei einer Umstellung auf eine andere Therapie- eine erneute und möglicherweise tödliche Hirntumorerkrankung drohe. Die Kosten beliefen sich zwar lediglich auf ca. 600,-- Euro für 3 Monate, diese Kosten könne sie jedoch nicht selbst aufbringen. Sie selbst verdiene im Monat netto 2.000,-- Euro, dieser Verdienst werde sich ab Februar 2004 um 7,5 % verringern. Ihr Ehemann erhalte lediglich eine monatliche Rente in Höhe von rd. 1.000,-- Euro. Mit diesen Einnahmen seien monatliche Raten in Höhe von 1.950,-- Euro für eine Eigentumswohnung und Privatkredite zu bedienen, zu denen weitere Ausgaben wie Wohngeld noch hinzukämen.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens um die Kostenübernahme der Beklagten für das Präparat Laif 600 der Klägerin die Kosten der ärztlich verordneten medikamentösen Behandlung mit dem vorbezeichneten Präparat zu erstatten.
Hilfsweise:
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Kosten der Behandlung der Antragstellerin mit dem Präparat Laif 600 bis einschließlich April 2004 zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegrün...