Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsgrund. Eilbedürftigkeit. Arbeitslosengeld II. Leistungen für Unterkunft und Heizung. Bedrohung durch Kündigung des Vermieters bei Entstehung von Mietschulden im Bewilligungszeitraum. Nichtanwendung des § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 und des § 21 Abs 4 S 1 SGB 2 bei bisheriger Obdachlosigkeit. fehlende Kostensenkungsaufforderung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anordnungsgrund bei Geltendmachung eines Anspruchs auf Anerkennung weiterer Bedarfe für Unterkunft und Heizung besteht dann, wenn innerhalb des laufenden Bewilligungszeitraums ein Mietrückstand entstünde, der den Vermieter zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen würde, es sei denn, es bestehen Anhaltspunkte in tatsächlicher Hinsicht, dass er von diesem Recht keinen Gebrauch macht.
2. § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 ist nur bei einem Umzug anwendbar, bei dem der Auszug aus Wohnraum erfolgt, der zu sozial- und markttypischen Bedingungen angemietet worden ist.
3. Die Obliegenheit zur Einholung einer Zusicherung zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft besteht nicht, wenn der Leistungsberechtigte wegen Obdachlosigkeit über keine bisherige Unterkunft verfügt.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin weiteres Arbeitslosengeld II für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 77,33 EUR für die Zeit vom 27. November 2014 bis 30. November 2014 sowie in Höhe von 580,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis zum 30. April 2015 vorläufig bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu zahlen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht mit Wirkung vom 27. November 2014 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt A M, V, 1 Berlin, beigeordnet.
Gründe
Der am 27. November 2014 beim angerufenen Gericht eingegangene Antrag der Antragstellerin vom gleichen Tage,
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ab sofort an die Antragstellerin Leistungen für die Kosten der Unterkunft nach dem SGB II vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu erbringen, und zwar in Höhe von 580 EUR monatlich,
hat Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69 ff.). Eine solche Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund, das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit, und einen Anordnungsanspruch, das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den sich ihr Begehren stützt, glaubhaft gemacht hat (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG iVm §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Bei der erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist im Bereich der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Erfolgsaussicht der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 ). Ist dem Gericht allerdings im Eilverfahren trotz Amtsermittlungsgrundsatz eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so muss anhand der Folgenabwägung entschieden werden. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers einzubeziehen.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
1.) Ein Anordnungsgrund ist gegeben.
In Rechtsprechung und Literatur wird nicht einheitlich beurteilt, wann ein Anordnungsgrund im Hinblick auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung vorliegt.
Teilweise wird gefordert, dass eine Räumungsklage anhängig sein muss (z. B. LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 10.09.2013 - L 2 AS 1541/13 B ER), teilweise wird für die Begründung des Eilbedarfs die Erklärung der Kündigung des Mietverhältnisses für notwendig erachtet (z.B. Bayerisches LSG, B. v. 26.07.2012 - L 7 AS 404/12 B ER, Rn. 17, juris, mwN), teilweise wird darauf abgestellt, ob ein Mietrückstand entsteht, der zur Kündigung berechtigt würde, es sei denn, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vermieter die Kündigung des Mietverhältnisses nicht ausspricht oder Räumungsklage unterlässt (OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 16.05.2000- 16 B 308/00; SG Gießen, B. v. 10.01.2013 - S 25 AS 832/12 ER ). Schließlich wird angenommen, dass bei zukunftsgerichteten Bedarfen für Unterkunft und Heizung stets ein Anordnungsgrund gegeben sei (Berlit, info also 2005, 3, 11).
Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass für die ...