Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung für ein Medizinisches Versorgungszentrum wegen Falschabrechnung durch einstweilige Anordnung
Orientierungssatz
1. Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist nach § 95 Abs. 6 SGB 5 u. a. dann zu entziehen, wenn der Arzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Das ist dann der Fall, wenn Falschabrechnungen eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) eine Fortsetzung der Tätigkeit des MVZ unzumutbar erscheinen lassen.
2. Der Abrechnungsberechtigung des MVZ steht die Verantwortung für eine rechtlich und tatsächlich einwandfreie Abrechnung gegenüber. Der Geschäftsführung des MVZ, und nicht den dort angestellten Ärzten, obliegt die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung. Auf ein Verschulden der Mitarbeiter eines MVZ kommt es nicht an.
3. Eine gröbliche Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten ist zu bejahen, wenn diese so schwer wiegen, dass ihretwegen die Entziehung der Zulassung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Weil gröbliche Pflichtverletzungen nach § 95 Abs. 6 SGB 5 zwingend und ohne Ermessen den Entzug der Zulassung zur Folge haben, ist die Verhältnismäßigkeit der Entziehungsentscheidung durch eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gröblichen Pflichtverletzung zu wahren.
4. An der sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehungsentscheidung besteht ein hinreichendes öffentliches Interesse, weil es im Hinblick auf die gestörte Vertrauensbasis zu den Krankenkassen notwendig ist, dass das MVZ keine weiteren Abrechnungsmöglichkeiten mehr hat.
Nachgehend
Tenor
Die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 15. Juli 2009 wird angeordnet. Der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen Antragsgegner und die Beigeladenen jeweils selbst. Der Streitwert wird auf 229.305,76 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 27. April 2009 hat der Zulassungsausschuss die Zulassung der Beigeladenen zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen. Den hiergegen von der Beigeladenen zu 1) eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Juli 2009 (schriftliche Fassung vom 21. August 2009) zurück und bestätigte die Zulassungsentziehung. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den schriftlichen Bescheid verwiesen. Die sofortige Vollziehung ordnete der Antragsgegner nicht an. Gegen den Beschluss des Antragsgegners hat die Beigeladene zu 1) am 31. August 2009 Klage erhoben, die beim SG Berlin unter dem Aktenzeichen S 83 KA. anhängig ist.
Mit Antragsschrift vom 5. Oktober 2009 hat die Antragstellerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das SG beantragt. Das Vertrauensverhältnis zur Beigeladenen zu 1) sei gestört, eine ordnungsgemäße Patientenbehandlung nicht gewährleistet. Durch die aufschiebende Wirkung der Klage sei sie - die Antragstellerin - jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zulassungsentziehung gezwungen, trotz des gestörten Vertrauensverhältnisses die vertragsärztliche Leistungserbringung und weitere Abrechnung hinzunehmen. Auch sei zu besorgen, dass sich die Beigeladene zu 1) auf die Wohlverhaltenszeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache berufen werde, womit das Zulassungsentziehungsverfahren konterkariert werde.
Die Antragstellerin beantragt, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 15. Juli 2009, ausgefertigt am 21. August 2009, anzuordnen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt. Er führt aus, dass er ein besonderes öffentliches Interesse, das über dasjenige an der Entziehung der Zulassung hinausgehe, nicht habe feststellen können. Ob sich dieses aus dem Antrag der Antragstellerin ergebe, werde der Beurteilung des Gerichts anheim gestellt.
Die Beigeladene zu 1) beantragt, den Antrag zurückzuweisen, und über den Antrag nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Sie ist der Meinung, dass ihre Hauptsacheklage hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, weshalb die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht in Betracht komme. Aufgrund der zweistufigen Struktur medizinischer Versorgungszentren - die Gesellschafter einerseits erbrächten selbst keine ärztlichen Leistungen, seien jedoch Zulassungsinhaber und Abrechnungsberechtigte im vertragsärztlichen System, dem ärztlichen Personal andererseits obliege eine besondere Verantwortung und dieses sei der vertragsärztlichen Disziplinargewalt unterworfen - könne der Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten nur demjenigen zugerechnet werden, der vertragsärztlich tätig werde, mithin den angestellten Ärzten selbst. Im Übrigen liege keine gröbliche Pflichtverletzung vor, die zur Zulassungsentziehung führen könne. Die Zulassungsentziehung sei zur Sicherung der vertragsärz...