Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Darlehen für Mietschulden. Zulässigkeit der Verweisung auf Selbsthilfemöglichkeiten. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung eines Darlehens für Mietschulden gem § 22 Abs 8 SGB 2 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
2. Auf vorrangige Selbsthilfebemühungen kann ein Antragsteller nur verwiesen werden, wenn diese konkret realisierbar sind und so zeitnah greifen, dass eine Hilfe über § 22 Abs 8 SGB 2 entbehrlich wird.
3. Sofern eine Behörde oder ein Gericht auf fiktive Selbsthilfepotentiale verweist, ist dies nach aktueller Rechtsprechung des BVerfG zur fiktiven Leistungsfähigkeit im Unterhaltsrecht (vgl BVerfG vom 18.6.2012 - 1 BvR 1530/11 = FamRZ 2012, 1283 und - 1 BvR 2867/11 = JAmt 2012, 417) nur zulässig, wenn der Weg zur Selbsthilfe benannt wird und einer Realitätsprüfung standhält.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Mietschulden einschließlich der angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten, insgesamt 5.681,71 €, als Darlehen zu übernehmen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der nach § 86 b Abs. 2 SGG zulässige Antrag ist unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände und angesichts des drohenden Verlusts der Wohnung auch begründet.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 8 SGB II. Diese Regelung stellt dem klaren Wortlaut nach auf den Verlust bzw. die Abwendung des Verlustes der konkreten Wohnung ab, wenn diese angemessen und ihr Erhalt mit Übernahme der Mietschulden langfristig gesichert ist (BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09).
Diese Voraussetzungen zur Prüfung, ob die Schulden überhaupt übernommen werden können (Ermessen), sind hier erfüllt: Die Unterkunftskosten inklusive Heizung sind angemessen, selbst wenn die normalen Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt einbezogen werden. Der Erhalt der Wohnung ist trotz Räumungstitel gesichert, weil sich der Vermieter im Fall der Schuldübernahme mit einer Fortsetzung des Mietverhältnisses einverstanden erklärt hat.
Nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II sollen die Mietschulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. So liegt der Fall hier:
Der Vermieter hat schon einen Räumungstitel erwirkt. Er ist zwar noch nicht rechtskräftig, angesichts des Anerkenntnisses im Mietschuldenstreit ist ein Rechtsmittel aber als aussichtslos einzuschätzen.
Im Eilverfahren lassen sich die genauen Umstände der Mietschulden nicht klären, es steht aber fest, dass sie nicht auf einem sozialwidrigen Verhalten beruhen; zwar war der Ast. mit der Nichtzahlung der Miete ohne schriftliche Zusicherung des Vermieters ein hohes Risiko eingegangen, er hat im Eilverfahren aber glaubhaft gemacht, dass die Minderung angesichts der lärm- und schmutzintensiven Sanierungsmaßnahmen nicht mutwillig war und er zumindest mit einer Verhandlungsbereitschaft des Vermieters gerechnet hatte.
Dass der Ast. die geminderte Miete nicht vorsorglich zur Seite legte, kann ihm nur bedingt angelastet werden, da er wegen der Nutzung von Ersatzwohnraum Kosten hatte und mit dem Einkommen aus der BEZ-Maßnahme keine Reserven bilden konnte.
Die in der Leistungsakte abgehefteten Schreiben des Ast. mit dem Vermieter belegen, dass sich der Ast. intensiv um eine Klärung des Mietrückstandes bemüht hatte, sein Vorbringen im Eilverfahren zu den Umständen, unter denen es zu den Mietschulden gekommen ist, also nicht als bloße Schutzbehauptung gewertet werden kann.
Ob die Miete für Oktober 2011 trotz Alg II-Bezug offen blieb, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Anhaltspunkte für einen zweckwidrigen Einsatz ausgezahlter KdU gibt es laut Akte oder Entgegnung des Jobcenters nicht.
Dass der Ast. keinen mutwilligen Streit mit dem Vermieter provoziert hatte und sich im Übrigen mietvertragskonform verhält, also auch unter diesem Gesichtspunkt ein Erhalt der angemessenen Wohnung gesichert ist, kann der Bereitschaft des Vermieters zur Fortsetzung des Mietverhältnisses entnommen werden.
Im Wege der Direktzahlung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II ist schließlich auch die Entstehung neuer Mietschulden - bedingt durch anderweitige Dispositionen des Ast. - ausgeschlossen.
Auch die zwingenden Verfahrenskosten im Zusammenhang mit der Beitreibung von Mietschulden können über § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden, wenn sonst die Wohnung verloren geht; dies hat das BSG in der o. g. Entscheidung klargestellt, das erkennende Gericht schließt sich dem an.
Auf vorrangige Selbsthilfebemühungen kann ein Antragsteller nur verwiesen werden, wenn diese konkret realisierbar sind und so zeitnah greifen, dass eine Hilfe über § 22 Abs. 8 SGB II entbehrlich wird.
Sofern eine Behörde oder ein Gericht auf fiktive Selbsthilfepotentiale verweist, ist dies nach aktueller Rechtsprechung des BVerfG zur fiktiven Leistungsfähigkeit im Unterhaltsrecht (vom 18.6.2012 - 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 286...