Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. abweichende Leistungserbringung. Darlehen. Stromschulden. nicht vom Regelbedarf umfasst. Unterkunft und Heizung. Schuldenübernahme. Nichtanwendbarkeit des § 22 Abs 8 S 2 SGB 2. keine analoge Anwendung. Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke und eines vergleichbaren Sachverhalts. Ermessensentscheidung. wiederholte Schuldenübernahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 24 Abs 1 S 1 SGB 2 ist im Falle von Stromschulden nicht anwendbar, da Verbindlichkeiten beim Stromlieferanten keinen ungedeckten, im Regelbedarf enthaltenen Bedarf darstellen.

2. § 22 Abs 8 S 2 SGB 2 ist bei Stromschulden nicht anwendbar, da durch Stromschulden keine Wohnungslosigkeit droht.

3. Eine analoge Anwendung des § 22 Abs 8 S 2 SGB 2 auf Fälle von Stromschulden scheitert sowohl am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einem vergleichbaren Sachverhalt.

 

Orientierungssatz

Eine wiederholte Übernahme von Schulden ohne besonderen Rechtfertigungsgrund ist nicht gerechtfertigt (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 12.9.2012 - L 14 AS 2105/12 B ER).

 

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

Der am 4. Mai 2016 beim angerufenen Gericht eingegangene Antrag der Antragsteller vom 3. Mai 2016,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern unverzüglich ein Darlehen in Höhe von 1.011,26 EUR zur Tilgung der bei V. bestehenden Stromschulden zu gewähren,

hat keinen Erfolg.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SozialgerichtsgesetzSGG≫). Das ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69 ff.). Eine solche Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund, das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit, und einen Anordnungsanspruch, das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den sich ihr Begehren stützt, glaubhaft gemacht hat (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Bei der erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist im Bereich der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Erfolgsaussicht der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 ). Ist dem Gericht allerdings im Eilverfahren trotz Amtsermittlungsgrundsatz eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so muss anhand der Folgenabwägung entschieden werden. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers einzubeziehen.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

Rechtsgrundlage für die begehrte Bewilligung eines Darlehens ist § 22 Abs 8 S 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Hiernach können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist.

Entgegen einer verbreiteten Auffassung ist § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II weder generell noch im Falle von Nachforderungen aufgrund erfolgter Abrechnung von Vorauszahlungen für Strom anwendbar. Schulden sind Zahlungsverbindlichkeiten des Leistungsberechtigten, die in der Vergangenheit begründet wurden, auf die entweder aktuell oder künftig Zahlungen zu leisten sind und auf die bislang nicht oder nur teilweise die geschuldeten Zahlungen geleistet wurden (Berendes, info also 2008, 151). Es würde sich nur dann nicht um Schulden handeln, wenn es sich um laufende Leistungen für einen noch nicht gedeckten Bedarf handeln würde (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 08.10.2012 - L 12 AS 1442/12 B ER, Rn. 19, juris; vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R, Rn. 17). Überdies ist § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II schon nicht auf Stromschulden anzuwenden, denn die Vorschrift erfasst einen vom Regelbedarf umfassen Bedarf. Der Bedarf, der im Regelbedarf enthalten ist, ist allein Haushaltsenergie (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II ). Dieser Bedarf ist bereits gedeckt; der reine Geldbedarf für Stromschulden ist kein ungedeckter, im Regelbedarf enthaltener Bedarf (vgl. bereits instruktiv SG Berlin, B. v. 08.10.2009 - S 121 AS 32195/09 ER, juris). Der Bedarf einer Befreiung von einer Verbindlichkeit ist grundsätzlich kein sozialhilferechtlicher Bedarf, sofern eine Norm dies nicht - wie etwa § 22 SGB II oder § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) - ausdrücklich bestimmt (vgl BSG, 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R -, SozR 4-3500 § 74 Nr 1 ...

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